Kommentar |
Klimawandel, Krise der Reproduktion, Erschöpfung durch Arbeit, Corona-Pandemie, Rechtspopulismus – die Liste soziologischer Krisendiagnosen ist lang. Im Vordergrund dieser Analysen steht zumeist die Frage nach den strukturellen Ursachen, kollektiven Bewältigungsmöglichkeiten und zu erwartenden langfristigen Effekten von Krisenerscheinungen. Öffentliche Debatten wiederum kreisen schwerpunktmäßig um Konflikte, die sich aus der ungleichen Verteilung von Krisenlasten und Risiken ergeben und diskutieren die Sinnhaftigkeit von Regulierungsversuchen durch staatliche Institutionen und Rechtssprechung. All dies sind selbstverständlich Aspekte, die für ein angemessenes Verständnis der Krisendynamik wichtig sind. In der Lehrforschung soll der Fokus jedoch etwas anders gesetzt werden – nämlich auf Menschen, die in ihrem Alltag versuchen, den Krisendynamiken durch gemeinsames Handeln mit anderen etwas entgegenzusetzen. Es geht darum, den Spuren der gegenwärtigen Vielfachkrise sowie von (ggf. auch bereits zurückliegenden) gesellschaftlichen Umbruchsituationen in Praktiken, Erfahrungen und Reflexionen von Menschen nachzugehen, die sich in zentralen Krisenfeldern gesellschaftlich engagieren und deren Engagement viel Raum in ihrem Leben einnimmt. Zu denken wäre hier beispielsweise an Klimaproteste, Mieter*inneninitiativen, Engagement gegen rechts usw. Allerdings kann Engagement im Krisenkontext auch Handlungsformen einschließen, die sich gegen Maßnahmen der Krisenregulation richten – das Themenfeld ist also offen in verschiedene mögliche Richtungen. In jedem Fall fragen wir danach, was der Ausgangspunkt für das je individuelle Engagement ist, worauf es abzielt und wie es in das eigene sonstige Leben integriert wird, aus welcher subjektiven Krisenanalyse heraus es entstanden ist, welche Lernerfahrungen und gesellschaftlichen Veränderungen es potenziell anstößt, aber auch, mit welchen Frustrationen, Risiken und Konflikten es möglicherweise verbunden ist.
Im ersten Teil des ersten Semesters der Lehrforschung werden wir uns mit einschlägigen soziologischen Analysen der gegenwärtigen Vielfachkrise befassen und uns dabei den Begriff der Krise selbst konzeptionell erschließen. Zugleich gehen wir der Frage nach, was eigentlich gesellschaftliches Engagement ist. Dafür werden wir auf Grundlagen und (konzeptionellen wie empirischen) Erkenntnissen der Engagementforschung zurückgreifen. Parallel werden wir methodologische Grundlagen von Qualitativer Forschung im Allgemeinen, Grounded Theory, Narrationsanalyse und problemzentrierten Interviews im Besonderen theoretisch und entlang praktischer Übungen erarbeiten.
Jede*r Teilnehmer*in der Lehrforschung wird in einer Forschungsgruppe ein eigenständig entwickeltes Forschungsprojekt umsetzen. Je weiter die Lehrforschung voranschreitet, desto mehr wird die Arbeit an den eigenen Forschungsprojekten der Teilnehmer*innen im Zentrum stehen. In den Forschungsgruppen wird die eigene Untersuchung geplant und durchgeführt– von der Entwicklung einer Forschungsfrage, über die Erstellung eines thematischen Leitfadens, die Erhebung empirischen Materials bis zu dessen Auswertung. Die thematische Auswahl der konkreten Forschungsfelder erfolgt gemeinsam im Seminar entlang der Interessen der Teilnehmenden. Die Forschungsgruppen sowie der gesamte Lern- und Forschungsprozess werden durchgängig durch die Dozentin begleitet. |
Leistungsnachweis |
Jede*r Teilnehmer*in wird im ersten Semester eine mündliche inhaltliche Einzelleistung im Seminar präsentieren sowie im Rahmen einer Forschungsgruppe jeweils ein problemzentriertes Interview führen und auswerten und darüber hinaus gemeinsam mit den anderen Gruppenmitgliedern eine weitere qualitative Methode (Experteninterview, Gruppendiskussion, teilnehmende Beobachtung o.Ä.) lernen und anwenden. Im zweiten Semester gestaltet jede Forschungsgruppe eine halbe Seminarsitzung zu ihrem Forschungsthema. Den Abschluss der Lehrforschung bildet schließlich das Verfassen eines Lehrforschungsberichtes im Rahmen der Forschungsgruppe, bei dem die Einzelleistungen individuell bewertet werden können. |