Kommentar |
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Mit Spanien verbinden heute viele vor allem Strand, Meer und Urlaub, manche auch Flamenco und Stierkampf. Gelegentlich hörte man bis vor kurzem auch von baskischen Terroranschlägen oder neuerdings von katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts wurde der Tourismus unter dem Slogan beworben „Spain is different – España es diferente!” Der europäische Blick auf Spanien und der spanische auf Europa hat jedoch eine lange und facettenreiche Geschichte. Und dies ist eine Geschichte der Selbstwahrnehmung und Selbstsicht, der Vergleiche und des Blicks auf die „Anderen”, des Otherings.
Mit der Intensivierung von Handel und Kommunikation in der Frühen Neuzeit rückten die Völker Europas näher zusammen. Dynastische Verbindungen taten ein Übriges, um den Kulturaustausch zu fördern. An der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert pflegten etwa die oberdeutschen Städte intensive Kontakte mit dem Mittelmeerraum und insbesondere zur Iberischen Halbinsel. Dasselbe trifft für Spaniens nördlichen Nachbarn Frankreich zu, wobei sich zum einen Arbeitsmigranten zwischen den beiden Ländern bewegten, zum anderen ab 1700 mit einem Abkömmling der französischen Bourbonendynastie auf dem Thron in Madrid der französische Einfluss auf vielen Gebieten spürbar wurde. Enge Beziehungen bestanden auch mit den Territorien Italiens, wo spanische Dynastien ebenfalls Throne besetzten.
Bereits ab dem Spätmittelalter entstanden erste europäische „Völkerspsychologien”, in denen den einzelnen Nationen bestimmte Eigenschaften zugeschrieben wurden. Im 19. und 20. Jahrhundert führte die Frage nach dem Verhältnis Spaniens zu Europa und zu „europäischen Werten” bzw. die Auseinandersetzung um die genuin „spanischen” Werte dann zu erregten Kulturdebatten, die das Land, insbesondere seine intellektuellen Eliten, polarisierten. Andererseits wurde in anderen Ländern des Kontinents über die Zugehörigkeit Spaniens zu Europa diskutiert und in einer spezifischen Form des Orientalismus Othering nach dem Motto betrieben: „Europa hört bei den Pyrenäen auf.”
Im 20. Jahrhundert führte der Spanische Bürgerkrieg als dezidiert internationaler Konflikt mit direkter oder indirekter Beteiligung zahlreicher europäischer und außereuropäischer Länder zu Kontakten, Begegnungen und Zusammenstößen, die Spanienbilder bzw. gegenseitige Wahrnehmungen tiefgehend prägten. Und nicht zuletzt trugen die Kulturtransferprozesse durch Tourismus und Gastarbeiter ab den 1960er Jahren nicht nur zur Erosion der Franco-Diktatur, sondern auch zur Modifikation von Selbstsichten sowie gegenseitiger Wahrnehmungen auf vielerlei Weisen bei. Nach der Demokratisierung ab 1975 und als Mitglied der Europäischen Gemeinschaft seit 1986 wurden diese Prozesse wiederum neu justiert. Vor allem die peripheren Regionen (Katalonien, Baskenland, Galicien), welche sich als eigenständige Nationen begreifen, erhofften und erhoffen sich in diesem institutionellen Rahmen eine stärkere Berücksichtigung.
Das Seminar klärt zunächst die Begrifflichkeiten des „Encounters” bzw. des Kulturtransfers und weitere damit zusammenhängende Termini und Konzepte und spürt den Formen und Phasen der kulturellen Begegnung zwischen Spanien und dem übrigen Europa (bzw. exemplarisch einzelnen Ländern) in längerfristiger Perspektive nach. Berücksichtigung finden Nationalstereotypen und ihre historische Genese ebenso wie der Wandel von Fremd- und Eigenbildern im Laufe der Jahrhunderte. Im Zentrum steht dabei die Lektüre und Interpretation unterschiedlicher Quellentexte. Die Veranstaltung ist somit größtenteils als Lektüreseminar konzipiert, wobei auch visuelle Quellen, etwa illustrierte Flugblätter der Frühen Neuzeit oder Karikaturen aus jüngerer Zeit, einbezogen werden
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Literatur |
Einführende Literatur: Peter Burke: Kultureller Austausch, Frankfurt a. M. 2000. Johannes Paulmann: Internationaler Vergleich und interkultureller Transfer. Zwei Forschungsansätze zur europäischen Geschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts, in: Historische Zeit-schrift 267 (1998), S. 649-685. Hans-Jürgen Lüsebrink: Interkulturelle Kommu-nikation. Interaktion, Fremdwahrnehmung, Kulturtransfer, 4. erg. und erw. Aufl., Stuttgart 2016. Walther L. Bernecker/Horst Pietschmann: Geschichte Spaniens, 4. aktual. Aufl., Stuttgart 2005. Peer Schmidt/Hedwig Herold-Schmidt (Hrsg.): Geschichte Spaniens, 3. Aufl., Stuttgart 2013. Arno Gimber: Kulturwis-senschaft Spanien, Stuttgart 2003. Hans Hinterhäuser (Hrsg.): Spanien und Eu-ropa. Stimmen zu ihrem Verhältnis von der Aufklärung bis zur Gegenwart, München 1979. Dietrich Briesemeister: Die Iberische Halbinsel und Europa. Ein kulturhistorischer Rückblick, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 8 (1986), S. 13-27 (https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/archiv/533681/die-iberische-halbinsel-und-europa-ein-kulturhistorischer-rueckblick/) Bernhard Schmidt: Spanien im Urteil spanischer Autoren. Kritische Untersuchungen zum soge-nannten Spanienproblem 1609-1936, Berlin 1975. Teresa Pinheiro: Iberische Europa-Konzepte. Nation und Europa in Spanien und Portugal seit dem 19. Jahrhundert, Berlin 2009. Julio Crespo MacLennan: España en Europa, 1945-2000. Del ostracismo a la modernidad, Madrid 2004. Birgit Aschmann: "Stolz wie ein Spanier": Genese und Gestalt des deutschen Spanienbildes in der Nach-kriegszeit, in: Birgit Aschmann/Michael Salewski (Hrsg.): Das Bild "des Ande-ren". Politische Wahrnehmung im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 2000, S. 90-108. Dietrich Briesemeister/Harald-Wentzlaff-Eggebert (Hrsg.): Spanien aus deutscher Sicht. Deutsch-spanische Kulturbeziehungen gestern und heute, Tü-bingen 2004. Katrin Brösicke: Kulturkontakt Krieg. Spanienbilder deutschspra-chiger Teilnehmer am spanischen Unabhängigkeitskrieg 1808-1814, Paderborn u. a. 2021. Moritz Glaser: Wandel durch Tourismus. Spanien als Strand Euro-pas, 1950-1983, Konstanz 2018. |