Kommentar |
Patriarchale Herrschaft im Kapitalismus zeigt sich auf unterschiedlichste Weise. Die unbezahlte Sorge- und Hausarbeit inklusive mental load gehört ebenso dazu wie die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern und die prekären Beschäftigungsverhältnisse bei institutionellen und häuslichen Sorgetätigkeiten.
Wie aber steht die durch Männerherrschaft begründete Ausbeutung im Zusammenhang mit der kapitalistischen Produktionsweise? Die Einschätzungen zu dieser Frage gehen weit auseinander. Die einen konstatieren, es sei „nicht einzusehen, warum das Geschlecht eine konstitutive Bedeutung für den Kapitalismus haben muss“ (Ellmers 2007, 42. Fn. 65). Schließlich würde „die ‚Abschaffung der Hausfrau‘ politökonomisch nichts am zentralen kapitalistischen Ausbeutungsverhältnis ändern“ (Braig/Lentz 1983, S. 13). Andere Ansätze sehen die „Aufteilung zwischen sozialer Reproduktion und Warenproduktion als zentral für den Kapitalismus“ (Fraser 2022, S. 9). Diese Unterscheidung sei „zutiefst vergeschlechtlicht“ (ebd.). Wer sich eingehend mit der Fragestellung beschäftigt, wird zu dem Ergebnis kommen, dass die Antwort nicht-trivial ist.
Im Seminar möchten wir uns der ökonomischen Dimension von patriarchaler Herrschaft und ihrem Verhältnis zum Kapitalismus aus verschiedenen Blickwinkeln nähern. Mithilfe feministischer Ökonominnen wie Antonella Picchio und Nancy Folbre werden wir die unter Lupe nehmen, welchen Beitrag zu einer Antwort kritische Wirtschaftswissenschaften leisten können. Das Verhältnis marxscher Ökonomiekritik und feministischer Herrschaftskritik werden wir ebenso beleuchten wie die Perspektive der Mainstream-Ökonomie auf vergeschlechtlichte Arbeitsteilung. Auch die Analyse patriarchaler Ausbeutungsverhältnisse in der Tradition der Kritischen Theorie wird im Seminar behandelt.
Das Verhältnis von patriarchaler Ausbeutung und kapitalistischer Reproduktion wollen wir auf drei Ebenen analysieren: Der metatheoretischen (auf welchen Grundannahmen basieren unterschiedliche Theorien?), der methodologischen (wie behandeln die Theorien den Gegenstand?) und der gegenstandstheoretischen (welche gesellschaftstheoretischen Aussagen lassen sich über den Gegenstand treffen?). Das Seminar nimmt die Form eines Lektüreseminars an. In den Sitzungen werden wir mittels verschiedener Methoden (offene Diskussion, Interviews, Murmelrunden, Gruppenarbeit, Schreibgespräche, Erstellen von Grafiken, u.m.) an den Texten arbeiten. Die verschiedenen Beteiligungsformen haben das Ziel, das Seminar für alle Teilnehmenden möglichst zugänglich zu gestalten. Auf eine freundliche, konstruktive und solidarische Gesprächsatmosphäre wird Wert gelegt. Voraussetzung zur Teilnahme ist einzig die Bereitschaft zur Textlektüre und zum gemeinsamen Arbeiten an den Themen.
|
Literatur |
vorläufige Auswahl:
Bauböck, Rainer (1988). Hausarbeit und Ausbeutung. Zur feministischen Kritik am Marx‘schen Ausbeutungsbegriff, Forschungsbericht Nr. 245 am Institut für höhere Studien, Wien.
Becker, Gary S. (1993). A Treatise on the Family, Enlarged Edition, Cambridge (USA).
Becker-Schmidt, Regina (2022). Politisch-psychologische Anmerkungen zu asymmetrischen Tauschverhältnissen aus feministischer Sicht, in: Stögner, Karin und Alexandra Colligs (Hrsg.): Kritische Theorie und Feminismus, Berlin, S. 166-179.
Braig, Marianne und Carola Lentz (1983). Wider die Enthistorisierung der Marxschen Werttheorie. Kritische Anmerkungen zur Marxschen Kategorie: »Subsistenzproduktion«, in: Prokla. Zeitschrift für politische Ökonomie und sozialistische Politik, Heft 50.
Ellmers, Sven (2007). Die formanalytische Klassentheorie von Karl Marx. Ein Beitrag zur ‚neuen Marx-Lektüre‘, Duisburg.
Folbre, Nancy (1983). Of Patriarchy Born: The Political Economy of Fertility Decisions, in: Feminist Studies, 9(2), S. 261-284.
Fraser, Nancy (2022). Cannibal Capitalism. How Our System Is Devouring Democracy, Care, and the Planet – and What We Can Do about It, London.
Picchio, Antonella Hrsg. (2003): Unpaid Work and the Economy. A gender analysis of the standards of living, New York.
|