"Der Gedanke", "Die Verneinung", "Gedankengefüge" (1918 bis 1923) - in diesen drei Aufsätzen fasste Frege gegen Ende seines Lebens seine Überlegungen zu den Grundbegriffen der Logik, und somit allen Denkens zusammen: Wenn es im Denken und der Logik vor allem um den Unterschied zwischen wahr und falsch geht, dann muss man zuerst erklären, was es denn ist, worauf sich dieses Wahr- oder Falschein beziehen kann: nach Frege sind es Gedanken, die wahr oder falsch sind (und Sätze sind nur dann wahr oder falsch, insofern sie einen Gedanken ausdrücken). Gedanken können grundsätzlich auch verneint werden, darum ist die Verneinung die erste logische Operation. Die Verneinung muss sich aber bereits auf einen vollständigen Gedanken beziehen. Man kann Gedanken aber auch zu komplexen Gedankengefügen zusammenfassen - dadurch entsteht aus zwei oder mehreren Gedanken ein neuer, komplexer Gedanke.
Von Wittgenstein, aber auch von Carnap wurde "Der Gedanke" als zu ontologisch abgelehnt: Frege vermischt nach ihrer Meinung sinnvolle logische mit problematischen ontologischen Erwägungen. In neuerer Zeit wurde Der Gedanke jedoch zu einem der meist diskutierten Aufsätze Freges. Vor allem Wolfgang Künne hat dem Text einen sehr ausführlichen Kommentar gewidmet.
Im Seminar wird vor allem "Der Gedanke" gemeinsam gelesen und diskutiert.
Semesterplan Frege Der Gedanke (Originalseiten: 58-77)
FSU Jena, Wintersemester 2024/25
1 Logik und die Gesetze des Wahrseins 58–59
2 Was ist der Inhalt des Wortes „wahr“? Ist es eine Eigenschaft? 59–62
3 Befehl, Frage, Behauptung und Gedanke 62
4 Fassen des Gedankens, Anerkennung der Wahrheit, Kundgebung des Urteils 62-63
5 Ein Behauptungssatz enthält oft etwas Nicht-Logisches: Färbung und Betonung 63
6 Manchmal fehlen im Satz Teile des Gedankens: „hier“, „da“, „ich“ 64
7 „Dr. Lauben ist verwundet worden“, Leo Peter und Rudolf Lingens 65-66
8 Warum Gedanken keine bloßen Vorstellungen sind (4 Gründe) 67–69
9 Könnte alles nur ein Traum sein? 69
10 Ich habe eine Vorstellung von mir, aber ich bin nicht diese Vorstellung 72
11 Der Schmerz des Bruders und der Arzt 73
12 Nicht alles ist Vorstellung: Gedanken sind unabhängig von mir 73
13 Wie können wir Gedanken erfassen, und wie wirkt ein Gedanke? 75
Der Gedankengang:
Wenn man erklären will, worum es in der Logik geht, kommt man zuerst darauf, dass es darin um Wahrheit geht, und darum, wie aus Wahrem anderes Wahre folgt (1). Man kann sich fragen, was das Wort „wahr“ eigentlich bedeutet, also was es aussagt; und das ist gar nicht leicht zu sagen (2). Man kann aber festhalten, dass dasjenge, was wahr ist (oder falsch ist), Gedanken sind; sie werden in Behauptungssätzen ausgedrückt, nicht in Fragen oder Befehlen (3). Der erste Schritt um zu erklären, was Logik ist, muss daher die Erklärung dessen sein, was ein Gedanke ist. Was macht man mit Gedanken? Man muss sie zuerst einmal erfassen, dann erst kann man sie innerlich als wahr anerkennen; und schließlich kann man sie äußerlich auch als wahr aussprechen und kundgeben (4).
Ein Behauptungssatz enthält manchmal auch Anteile, die nicht zum Gedanken gehören, weil sie nichts zur Frage nach der Wahrheit beitragen, so etwa eine emotionale Färbung oder bestimmte Betonungen (5). Umgekehrt kann in einem Behauptungssatz ein Gedanke auch unvollständig enthalten sein, weil darin Ausdrücke wie „hier“ oder „ich“ vorkommen, deren Sinn aus dem Kontext erkannt und ergänzt werden muss (6). Manche Sätze, wie „Dr. Lauben ist verwundet worden“ können von verschiedenen Personen, die diese Person aus unterschiedlichen Kontexten kennen, verschieden aufgefasst werden: Sine es dann zwei verschiedene Gedanken, die in diesem Satz ausgedrückt sind? (7)
Gedanken sind normalerweise etwas, was mehrere Menschen gemeinsam haben können, keine nur subjektiven Vorstellungen: Vorstellungen können nicht wahrgenommen werden (ganz wie Gedanken), Vorstellungen werden gehabt (Gedanken werden dagegen erfasst), Vorstellungen brauchen einen Träger, sie sind immer jemandes Vorstellung (Gedanken brauchen keine Träger), Vorstellungen gehören nur jeweils zu einer Person (Gedanken können geteilt werden). Gedanken gehören also weder zum Physischen, noch zum Psychischen (wie Vorstellungen), sondern sie gehören einem dritten Bereich oder Reich des Objektiv-Nichtwirklichen an (8).
Aber könnte nicht alles ein bloßer Traum sein? Wenn alles nur subjektive Vorstellung wäre, dann gäbe es keine Gedanken, die mehrere Personen gemeinsam haben können (9). Es kann aber nicht alles Vorstellung (von derselben Art) sein, denn ich kann zwar eine Vorstellung von meinem „Ich“ haben, aber ich bin nicht selbst diese Vorstellung. Mein Denken (als Denkakt) muss also von dem unterschieden werden, was ich denke (meinen Denkinhalten). Ich bin Träger von Vorstellungen, aber nicht selbst eine Vorstellung (10). Ich kann aber mit einem Arzt über den Schmerz meines Bruders, und über anderes, sprechen; dann haben wir einen gemeinsamen Gegenstand des Gesprächs (11).
Gedanken sind also unabhängig von mir, sie bestehen für sich und können von mir (und anderen) nur erfasst werden (12). Wie aber können Gedanken dann wirken, wenn sie selbst nicht-wirklich sind? Antwort: Sie können es dadurch, dass sie erfasst werden und Menschen dazu bringen, etwas in der Welt zu verändern (13).
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