Kommentar |
Musik und Utopie
Utopisches Denken ist außer Mode gekommen. Dabei enthält gerade die Musik ein enormes utopisches Potential, das vor allem im 19. und 20. Jahrhundert verschiedentlich – im positiven wie negativen Sinne – zur Sprache gebracht wurde. Bereits Francis Bacons Erzählung The New Atlantis (1624) wird detailliert eine Soundkulisse beschrieben, die wie eine Vorwegnahme von Errungenschaften elektronischer bzw. elektroakustischer Musik im 20. und 21. Jahrhundert anmutet. Auch Ferruccio Busonis 1916 in zweiter Auflage erschienener Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst beschäftigt sich mit musikalischen Utopien. Doch den Vorschein einer anderen – besseren – Welt erblickten zahlreiche Autor:innen wie z.B. Ernst Bloch oder Theodor W. Adorno auch in bereits existierender Musik vor allem der ›klassischen‹ und ›romantischen‹ Epoche, etwa jener Mozarts, Beethovens oder Schuberts; dabei spielt u.a. die vielzitierte „schöne Stelle“ eine zentrale Rolle. Der Komponist Mathias Spahlinger und der Musikwissenschaftler Hans Heinrich Eggebrecht widmeten eine Folge ihrer Gespräche dem Thema „Musik und Utopie“. Spätestens im 20. Jahrhundert, etwa mit dem Sozialistischen Realismus, wurde Musik umfassend für gesellschaftliche Utopien eingespannt, teilweise bis zum Verlust ihrer Autonomie; die Neue Musik indes steht häufig sowohl innermusikalisch als auch institutionell für ein begrifflich kaum artikulierbares „Anderes“.
In dieser Vorlesung wird anhand unterschiedlicher Stichproben und Tiefenbohrungen der Frage nachgegangen, ob und wenn ja, wo und wie Musik in Geschichte und Gegenwart Utopie(n) auszuprägen und zu artikulieren vermag. Dabei werden auch Fragen der Musikhistoriographie berührt: Wie lässt sich eine „vergangene Zukunft“ erzählen?
Lehrperson: Prof. Dr. Nina Noeske |