Kommentar |
Bachelor
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BA_KG 3 B, BA_KG 4 B
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Master
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MKG 2 B, MKG 4 B, MWKG
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Der beinahe schon inflationär verwendete Begriff „Mafia” steht in unserem heutigen Sprachgebrauch synonym für Organisierte Kriminalität, wenn etwa von der Russenmafia, den chinesischen Triaden oder den mexikanischen Drogenkartellen die Rede ist. Historisch betrachtet ist die Mafia dagegen ein vielschichtiges Phänomen, deren sozialen, kulturellen und politischen Ursprüngen, Entwicklungen und Veränderungen bis heute wir in diesem Seminar nachspüren wollen. Mafia und Italien scheinen untrennbar zusammenzugehören, mit Parteien, Staat und Wirtschaft verfilzt, von der Kirche toleriert und gestützt, von der Bevölkerung vielfach (resigniert) akzeptiert oder in phantasievollen wie verzweifelten Aktionen bekämpft. Erstaunlich ist dabei die ausgeprägte Fähigkeit der Mafien, sich verändernden Rahmenbedingungen anzupassen, etwa wenn sie in jüngster Zeit vom Flüchtlingsdrama in Süditalien zu profitieren suchen oder sich in den globalisierten Wirtschaftsstrukturen breit und weitgehend unsichtbar macht.
Konkret wird es dabei um die großen mit dem Terminus der Mafia belegten Organisationen der Cosa Nostra in Sizilien, der Camorra in Neapel und der ‘Ndrangheta in Kalabrien – und teilweise ihren internationalen Weiterungen, etwa in den USA und in Deutschland – gehen. Während im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts die überbordende Gewalt der Cosa Nostra im Fokus der Aufmerksamkeit stand, hat sich diese in den letzten Jahrzehnten auf die deutlich „geräuschärmer” agierende, überaus einflussreiche `Ndrangheta verlagert. In diesem Kontext werden wir uns neben dem Verhältnis von Staat bzw. staatlicher Gewalt und Zivilgesellschaft insbesondere auch mit Konzepten von Ehre und Schande, mit Patronage und Klientelbeziehungen, mit Familie und Familienstrukturen befassen, – also unterschiedliche Aspekte und methodische Zugänge verfolgen, die helfen sollen, die „Kultur der Gewalt” und ihre Wandlungen in den vergangenen 200 Jahren zu verstehen. Die Sicht der Betroffenen – etwa publizierte Berichte von Aussteigern oder von Protagonisten der Anti-Mafia-Bewegung – soll dabei helfen, individuelle und kollektive Sinngebungs- und Deutungsprozesse und ihre Veränderungen zu beleuchten. So geht es beispielsweise um wirkmächtige Mythen und Ursprungslegenden. Thematisiert werden auch mediale Verarbeitungen (etwa Mafia-Filme), die ihrerseits die Realität mitunter deutlich beeinflussen, sowie besondere gesellschaftliche Konfliktlinien, wie etwa das Verhältnis von Religion, Kirche und Mafia oder Mafia und Politik sowie weitere Aspekte der mafiösen Kulturen, wie das Verhältnis zwischen den Geschlechtern und die Rolle der Frau in den Mafien und mafiösen Kulturen. Nicht zuletzt liegt ein Schwerpunkt auf dem Alltag in den Mafiagebieten des italienischen Südens unter dem Gebot der „omertà”, auf Anpassungen, Aushandlungsprozessen und Widerstandsformen, wie etwa jüngeren zivilgesellschaftlichen Anti-Schutzgeld-Kampagnen, städtebaulichen Projekten und politisch-kulturellen Bildungsangeboten.
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Literatur |
Einführende Literatur:
Felia Allum u. a. (Hrsg.): Italian Mafias Today. Territory, Business and Politics, Cheltenham u. a. 2019. Monica Massari/Vittorio Martone (Hrsg.): Mafia Violence, New York 2019. Letizia Paoli: Mafia Brotherhoods. Organized Crime, Italian Style, Oxford 2003. John Dickie: Omertà – die ganze Geschichte der Mafia. Camorra, Cosa Nostra und `Ndrangheta, Frankfurt a. M. 2013. John Dickie: Cosa Nostra. Die Geschichte der Mafia, 6. Aufl., Frankfurt a. M. 2006. Salvatore Lupo: Die Geschichte der Mafia, Düsseldorf 2005. Diego Gambetta: Die Firma der Paten. Die sizilianische Mafia und ihre Geschäftspraktiken, München 1994. Anita Bestler: Die sizilianische Mafia. Der bewaffnete Arm der Politik, Wiesbaden 2021. Anna Sergi: 'Ndrangheta. The Glocal Dimensions of the Most Powerful Italian Mafia, Cham 2016. Anna Sergi: Chasing the Mafia. 'Ndrangheta, Memories and Journeys, Bristol 2022. Roberto Saviano: Gomorrha. Reise das Reich der Camorra, München 2007. Felia Allum: Camorristi, Politicians, and Businessmen. The Transformation of Organized Crime in Post-war Naples, Leeds 2006. Thomas Hauschild: Ritual und Gewalt. Ethnologische Studien an europäischen und mediterranen Gesellschaften, Frankfurt a. M. 2008. Deborah Puccio-Den: Mafiacraft. An Ethnography of Deadly Silence, Chicago 2021. Anton Blok: The Mafia of a Sicillian Village, 1860-1960, Prospect Heights 1974. Gudrun Dietz: Mythos der Mafia im Spiegel intermedialer Präsenz, Göttingen 2008. George S. Larke-Walsh: Screeing the Mafia: Masculinity, Ethnicity and Mobsters from The Godfather to The Sopranos, Jefferson 2010. Alison Jamieson: The Antimafia. Italy's Fight Against Organized Crime, Basingstoke 2000. Federico Varese: Mafia-Leben. Liebe, Geld und Tod im Herzen des organisierten Verbrechens, München 2018. Umberto Santino: Phänomen Mafia. Geschichte der Mafia und Antimafia, 2. Aufl., Dresden 2017. Clare Longrigg: Patinnen. Die Frauen der Mafia, München 1998. Ombretta Ingrascì: Gender and Organized Crime in Italy. Women's Agency in Italian Mafias, London 2021. Giovanni Fiandaca (Hrsg.): Women and the Mafia. Female Roles in Organized Crime Structures, New York 2007.
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