Kommentar |
Mikroperspektiven der geographischen Alternsforschung (Kauer)
Gesellschaftliche Alterung zählt zu den drängenden Herausforderungen der Gegenwart. Medial, politisch und wissenschaftlich gibt es mehr Alter als je zuvor: Sei es, dass Fachkräfte fehlen, die Rentenpolitik in Frage gestellt wird oder die Pflegeversorgung in einer prekären Lage ist. Allgegenwärtig scheinen die Krisenszenarien, dass „die Gesellschaft” sich „die Alten” in dieser Zahl und Größe nicht leisten könne. Gleichzeitig wird in politischen Kampagnen das Alter hochgelobt und die produktiven Potentiale des höheren Lebensalters beworben – den Best Agern gehöre die Zukunft. Wissenschaftlich bleibt das Alter in seiner Diversität, im Vergleich zu den sozialwissenschaftlichen Forschungen des Geschlechts, sozialer Klasse oder Ethnizität, wenig betrachtet.
In diesem Seminar werden verschiedene Mikroperspektiven der geographischen Alternsforschung in zwei größeren Blöcken eingenommen: Die Betrachtung von Altern als gesellschaftliches Paradigma und die geographische Alternsforschung im Kontext Wohnen.
Kritische Geographien des Staates (Stenglein)
Dass wir in Staaten leben und von Geburt an Staatsbürger:innen mit Steuernummer sind, dass die Welt (fast) überall durch Staaten strukturiert ist, durch ihre Grenzen politisch eingeteilt, durch ihre Polizei- und Militärapparate gesichert und ihre Bürokratien verwaltet wird, das scheint ein quasi-natürlicher Zustand zu sein.Der moderne Staat und moderne Staatlichkeit sind aber keineswegs natürliche Gegebenheiten. Vielmehr handelt es sich bei ihnen um historisch spezifische sozio-politische und damit kontingente gesellschaftliche Phänomene, die in den vergangenen Jahrhunderten der Europäischen Moderne entstanden sind und weltweit – meist gegen große Widerstände – gewaltvoll durchgesetzt wurden. Was wir dabei als Staat verstehen hängt entscheidend von der Perspektive ab: Staat kann als ein Ensemble von Institutionen, als ein Akteur oder als ein Set bestimmter Kriterien der Staatlichkeit, wie dem modernen Recht oder Verwaltungsapparaten verstanden werden. Staat kann aber auch, wie unter Anderen die Theoretiker Henri Lefebvre (2003) und Pierre Bourdieu (2014) argumentiert haben, als Effekt sozialer Praktiken gefasst werden, der alltäglich mental und in Beziehungsräumen (re-)produziert wird. Die Konsolidierung des modernen Staates als territorialer Nationalstaat ist dabei als ein grundlegend geographischer Prozess aufzufassen und an etatistische (von frz. l‘état = Staat) Raumproduktionen gebunden. Diese haben unser gegenwärtiges Alltagsverständnis von Räumlichkeit maßgeblich mitgeprägt.
In diesem Seminar wird es zum einen darum gehen, den Zusammenhang von Räumlichkeit und Staat auf einer konzeptionellen Ebene zu erarbeiten (Territorium, Grenze, Skale). Zum anderen wird empirisch auf die Rolle des modernen Staates für die Entstehung von Geographien der Ungleichheit fokussiert und in diesem Zuge an feministische, anarchistische sowie Ansätze der Black Geographies und der kritischen Migrationsstudien angeschlossen. Das Seminar soll damit nicht nur zu kritisch-reflexivem wissenschaftlichen Arbeiten und Forschen und eigenständigem Urteilen ermutigen, sondern letztlich auch dazu beitragen, dass eigene alltägliche Verflechtungen mit staatlichen Raumproduktionen erkannt werden und ein Jenseits von Staatlichkeit für die Seminarteilnehmer:innen denkbar wird.
Das Seminar ist ein Lektüre-Seminar und basiert auf der intensiven Auseinandersetzung mit deutsch- und englischsprachigen Texten. Als Prüfungsleistung ist eine wissenschaftliche Hausarbeit um Umfang von ca. 15 Seiten zu einem der Themen des Seminars zu verfassen. Zusätzlich soll jede:r Seminarteilnehmer:in in Rücksprache mit der Seminarleitung an der Gestaltung einer der Sitzungen mitwirken. Alle weiteren Infos zum Ablauf, Inhalten und konkreten Anforderungen werden in der ersten Sitzung besprochen.
Referenzen Bourdieu, Pierre. 2014. Über den Staat. Berlin: Suhrkamp.
Lefebvre, Henri. 2003. Space and the State. In Neil Brenner, Bob Jessop, Martin Jones, & Gordon Macleod (Hrsg.), State / Space: A Reader. Malden: Blackwell, S. 84–100. Termine
Immer mittwochs, 08:00 – 12:00, zweiwöchentlich. Beginn 25.10. Dann: 08.11., 22.11, 06.12., 20.12., 10.01., 24.01., 07.02. Die erste und die letzte Sitzung sind keine Doppelsitzungen (= jeweils 90min). |