Kommentar |
Als „generatives Prinzip” der sozialen Praxis ist der Habitus der zentrale Baustein in der Soziologie Pierre Bourdieus. Entwickelt aus der ethnographischen Beobachtung tiefgreifender Transformationsprozesse in der spätkolonialen algerischen Gesellschaft und weiter angewandt u.a. in der Analyse der Reproduktion sozialer Ungleichheiten in der französischen Klassengesellschaft der 1960er, ist der Habitus kein abstraktes Konzept, sondern ein praktisches Hilfswerkzeug zur Erklärung von Praxis jenseits der Dualität von Individuum und Gesellschaft. Zugleich war (und ist) es eine Antwort auf die dominanten wissenschaftsphilosophischen Strömungen seiner Zeit sowie Instrument der Reflexion und Kritik von Wissenschaftspraxis und gesellschaftlichen Herrschaftsmechanismen.
Im Seminar werden wir uns die Praxistheorie Bourdieus über das Habitus Konzept auf vielfältige Weise erschließen und anwenden: in intensiver Auseinandersetzung mit einer der meist zitiertesten soziologischen Studien der Gegenwart, Die feinen Unterschiede (orig. franz., 1979); in der Erkundung von Bourdieus methodologischem Ansatz der historisch-genetischen „Sozio-Analyse”; sowie mit der Übertragung Bourdieus Untersuchung auf Deutschland (orig., Vester et al., 1993), die empirische Anwendung der Methode der Habitushermeneutik, die gemeinsame Reflektion und Diskussion der Potentiale und Grenzen des Habitus Konzepts für die Erklärung gegenwärtiger gesellschaftlicher Tendenzen und Transformationspotentiale. |
Literatur |
Bourdieu, Pierre. 1982. Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Bourdieu, Pierre. 2000. Die zwei Gesichter der Arbeit: Interdependenzen von Zeit- und Wirtschaftsstrukturen am Beispiel einer Ethnologie der algerischen Übergangsgesellschaft. Konstanz: UVK.
Bremer, Helmut, und Christel Teiwes-Kügler. 2013. ‘Zur Theorie und Praxis der “Habitus-Hermeneutik”’. ss. 93–129 in Empirisch arbeiten mit Bourdieu. Theoretische und methodische Überlegungen, Konzeptionen und Erfahrungen, hrsg. von A. Brake, H. Bremer, und A. Lange-Vester. Weinheim: Beltz Juventa.
Vester, Michael, Peter von Oertzen, Heiko Geiling, Thomas Hermann, und Dagmar Müller. 2001. Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel: Zwischen Integration und Ausgrenzung. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
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