Zusammenfassung: Im Kontext technologischen Wandels, Polarisierungsprozessen am Arbeitsmarkt, wachsender sozialer Ungleichheit, Wirtschaftskrisen und der Einsicht in die nicht nur ökologisch angezeigten Grenzen des Wachstums verdichten sich gegenwärtig Problembeschreibungen und Diagnosen eines kollektiven Abstiegs der Arbeiter*innen- und unteren Mittelklassen. In jüngerer Zeit haben diese Diagnosen im Zusammenhang mit Erklärungsversuchen zum Erstarken des Rechtspopulismus an besonderer Brisanz gewonnen, wenngleich sich die Wähler*innenschaft rechter und rechtspopulistischer Parteien keineswegs überwiegend aus den unteren Klassen zusammensetzt. Gegenwärtig nähren zudem Inflation und steigende Lebenshaltungskosten die Abstiegsängste der lohnabhängigen Bevölkerung und lassen den Traum vom sozialen Aufstieg zunehmend als Relikt überkommener Zeiten erscheinen. Die „nivellierte Mittelstandsgesellschaft der industriellen Moderne“ (Reckwitz 2019: 74), so wird immer deutlicher, gehört mitsamt ihren Versprechen auf kollektiven Wohlstand, Aufstieg und soziale Sicherheit der Geschichte an. Zugleich zeichnen sich die auch medial geführten Debatten um sozialen Abstieg und das Ende des „kurzen Traums immerwährender Prosperität“ (Burkart Lutz) durch Widersprüche und Unklarheiten aus, was etwa den Abstieg und die Gefährdung der Mittelklassen angeht.
Im Seminar wollen wir uns anhand ausgewählter soziologischer Beiträge den Diskussionen um eine Gesellschaft bzw. Klassen im Abstieg annähern und soziologische Deutungsangebote zu einer Rückkehr der sozialen Frage im 21. Jahrhundert studieren. Zu den Teilnahmevoraussetzungen des Seminar gehören die Lektüre der Seminartexte sowie die Übernahme eines Sitzungsprotokolls.
Lese-Einstiegsempfehlung: Friedrichs, Julia (2021): Working Class, Warum wir Arbeit brauchen, von der wir leben können. Büchergilde Gutenberg.
Ausgewählte Literatur:
-Goffart, Daniel (2019): Das Ende der Mittelschicht. Abschied von einem deutschen Erfolgsmodell. Berlin Verlag.
-Raphael, Lutz (2019): Jenseits von Kohle und Stahl. Eine Gesellschaftsgeschichte Westeuropas nach dem Boom. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
-Milanovic, Branko (2016): Die ungleiche Welt. Migration, das eine Prozent und die Zukunft der Mittelschicht. Berlin: Suhrkamp.
-Castel, Robert (2009): Die Wiederkehr der sozialen Unsicherheit. In: Ders./Dörre, Klaus (Hrsg.): Prekarität, Abstieg, Ausgrenzung. Die soziale Frage am Beginn des 21. Jahrhunderts. Frankfurt am Main: Campus. S. 21-34.
-Holubek-Schaum, Stefan/Sachweh, Patrick/Schimank, Uwe (2020): Statuskonkurrenz und Gemeinschaftsbezüge: Die Mittelschichten und der gesellschaftliche Zusammenhalt. In: S. 295-315.
-Mayer-Ahuja, Nicole/Nachtwey, Oliver (2021): Verkannte Leistungsträger:innen. Berichte aus der Klassengesellschaft. Berlin: Suhrkamp. S. 13-40.
-Dörre, Klaus (2020): In der Warteschlange. Arbeiter*innen und die radikale Rechte. Münster: Westfälisches Dampfboot. S. 15-39.
-Andreas Reckwitz (2019): Das Ende der Illusionen. Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp. S. 63-107.
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