Kommentar |
Der Ruf nach einem ökologischen Umbau der Gesellschaft nimmt in der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft und in politischen Beschlüssen zu. In Anbetracht des sich rapide schließenden Zeitfensters für eine radikale Wende sind die angestrebten Maßnahmen zwar absolut ungenügend. Dennoch drängen ökologische Forderungen in alle Politikfelder: Gefordert und teilweise umgesetzt werden zum Beispiel der Kohleaussteig, steigende Kraftstoffsteuern oder eine Transformation des Automobilsektors hin zum Elektroantrieb.
Der steigende ökologische Handlungsdruck trifft in der kapitalistischen Gesellschaft auf soziale Konfliktlinien. Die grundlegende Annahme des Seminars lautet, dass die ökologische Krise sowohl der Ursache als auch ihrer Bearbeitung nach einen Klassencharakter hat. Dies wird bei der Betrachtung der politischen Ökonomie, der Gefährdung durch ökologische Krisenerscheinungen als auch der Kosten des ökologischen Umbaus deutlich: Die Produktions- und Konsumentscheidungen oder die Möglichkeit, sich vor ökologischen Gefahren weitestgehend zu schützen, kommen nur einem kleinen Teil der Weltbevölkerung zu. Demgegenüber hat die Mehrheit der Weltbevölkerung keine Entscheidungsmacht über die Produktion und auch die Konsumchancen und ökologischen Gefährdungen sind weitestgehend klassenspezifisch strukturiert. Die zweite Annahme des Seminars lautet, dass der andauernde industrielle Klassenkampf sich zunehmend mit Konflikten um die Bearbeitung oder Nicht-Bearbeitung des ökologischen Konfliktes verzahnen und in sozial-ökologischen Transformationskonflikten in Erscheinung treten wird.
Im Seminar wollen wir uns zunächst anschauen, in welchem Verhältnis die ökologische Krise und die kapitalistische Klassengesellschaft stehen. Daraufhin betrachten wir beispielhaft zwei sozial-ökologische Transformationskonflikte: Die Dynamik im Rahmen des Kohleaussteigs in der Lausitz sowie die Gelbwestenproteste gegen steigende Kraftstoffsteuern in Frankreich. In beiden Beispielen führten klimapolitisch begründeten Maßnahmen zu enormen gesellschaftlichen Spannungen (sozial-ökologischen Transformationskonflikten). Die Konflikte unterscheiden sich jedoch maßgeblich darin, welche Akteurskonstellationen entstanden. Die Gelbwesten sahen vor allem den Staat und sein neoliberales Regime als Verursacher ihrer sich verschlechternden Lebensumstände und somit als Gegner an. Sie gingen an einigen Orten Bündnisse mit Klimaaktivist:innen ein, um gemeinsam für einen Klimaschutz auf Kosten der Wohlhabenden zu kämpfen. Anders in der Lausitz: Hier wurden Staat und Klimabewegung als Bedrohung des Arbeitsplatzes und der eigenen Identität angesehen und die Arbeitgeber als wichtigsten Verbündeten.
Ziel des Seminars ist es, ein Gespür für vergangene und zukünftige Transformationskonflikte zu entwickeln. Schließlich soll diskutiert werden, was einer zunehmenden Spaltung zwischen sozialen und ökologischen Interessen innerhalb der Klasse der Lohnabhängigen entgegenwirken könnte und im Umkehrschluss Bedingungen für eine soziale und ökologische Allianz wären.
Es sind keine Vorkenntnisse erforderlich. Alle, die sich für Fragen rund um Natur- und Klassenverhältnisse interessieren, sind herzlich eingeladen. |