Fast drei Jahre lang besetzte das nationalsozialistische Deutschland das Gebiet der heutigen Ukraine. An diesem zentralen Schauplatz von Shoah und Weltkrieg kostete die deutsche Besatzungsherrschaft Millionen von Menschen das Leben. Zugleich rangen Millionen alltäglich um ihr (Über)Leben unter den gewaltsam diktierten Bedingungen deutscher Militärverwaltung. Ihre Erfahrungen lassen sich nur unzureichend durch die Konzepte von Kollaboration und Widerstand erfassen. Das Seminar greift daher den Begriff der „Besatzungsgesellschaften“ auf und fragt nach den Nuancen dieser Erfahrungen und den individuellen und kollektiven Verhaltensweisen in Gesellschaft(en) unter der Besatzung. Auf welche Anpassungs- und Überlebensstrategien griffen Angehörige der nichtreichsdeutschen Bevölkerung unter der deutschen Gewaltherrschaft zurück? Welche Auswirkungen hatte diese Herrschaft auf soziale Strukturen, ethnische Konflikte und Geschlechterrollen? Welche Rolle spielte die Shoah in den Gesellschaften und welche Erkenntnisse über die Shoah aber auch über die Ukraine im Weltkrieg lassen sich aus diesen Gesellschaften ableiten?
Auf Grundlage übersetzter (deutsch- und englischsprachiger) Quellen nähern wir uns der Alltags- und Überlebensrealität der besetzten Ukraine an und diskutieren den analytischen Horizont des Begriffs der „Besatzungsgesellschaft“.
Literatur: Karel Berkhoff: Harvest of Despair. Life and Death in Ukraine under Nazi Rule. Cambridge MA 2004. Dieter Pohl: Die Herrschaft der Wehrmacht in der Sowjetunion 1941-1944. Frankfurt am M. 2011; Dean Martin: Collaboration in the Holocaust. Crimes and the Local Police in Belorussia & Ukraine, 1941-1944. Basingstoke/Hampshire 2001. |