Kommentar |
"A call to study boring things ..." - Soziologische Zugänge zu Infrastrukturen und großen technischen Systemen
Wenn das Internet mal wieder nicht funktioniert, kein Wasser aus der Leitung kommt, der Strom ausfällt oder gar eine Verkehrsbrücke einstürzt – erst dann drängen sich Dinge in unser Bewusstsein, auf die wir uns sonst in aller Selbstverständlichkeit verlassen. Erst mit Blick auf Infrastrukturen und große technische Systeme wird klar, wie grundlegend unsere heutigen Gesellschaften technologisch vermittelt und eingerichtet sind. Energie-, Wasser- und Verkehrsnetzwerke sind gewissermaßen die „Lebensadern” (van Laak) unserer Lebensumwelt mit mittlerweiele ebenso wichtigen Informations- und Kommunikationsnetzwerken. Strukturieren sie auch das, was wir in der Soziologie „Gesellschaft” nennen? Wie sind Infrastrukturen gesellschaftstheoretisch relevant (etwa das aufkommen von Internettechnologien), und wie kann ein soziologischer Zugang zu diesem sperrigen Thema aussehen? In welchem Verhältnis stehen hier die Begriffe Technologie und Gesellschaft – und wie ist Technologie auch immer politisch? Wenn wir an Technik denken, haben wir oft einzelne Artefakte vor Augen - wie etwa das Automobil oder ein Smartphone. Macht es aber nicht viel mehr Sinn, sie als kleinere Bestandteile größerer sozio-technischer Zusammenhänge zu verstehen, um deren Komplexität und Unordnung ernst zu nehmen?
In diesem Sinne wollen wir einen Blick ‚hinter die Kulissen‘ moderner Gesellschaften blicken und empirische sowie theoretische Zugänge kennenlernen, die sich mit Infrastrukturen und großen technischen Systemen auseinandersetzen. Angefangen von Klassikern der sozialen Formung von Technologie („social shaping of technology”), bis hin zu aktueller Forschung zum Internet werden wir historische, sozialkonstruktivistische, feministische und rechtliche Zugänge kennenlernen, aber auch Bezug nehmen auf aktuelle Debatten zur Privatisierung der Daseinsvorsorge und dem Regulieren großer Plattformunternehmen.
Um es mit Worten einer der renommiertesten Forscherinnen (Susan Leigh Star) auf diesem Gebiet zu sagen: „Let’s study boring things …” and make them exciting!
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Literatur |
Auszug aus der Literaturliste:
Klaus Dörre/Madeleine Holzschuh/Jakob Köster/Johanna Sittel (Hrsg.) (2020): Abschied von Kohle und Auto? Sozial-Ökologische Transformationskonflikte um Energie und Mobilität.
Langdon Winner (1985): Do artifacs have politics?
Thomas P. Hughes (1989): The Evolution of Large Technological Systems
Judy Wajcman (1991): The Built Environment: Women’s Place, Gendered Space
Christian Sandvig (2013): The Internet as Infrastructure
Einführendes zum Thema:
Eva Barlösius – Infrastruktur als soziale Ordnungsdienste. Ein Beitrag zur Gesellschaftsdiagnose. Frankfurt am Main. Campus Verlag. 2019.
Dirk van Laak – Alles im Fluss. Die Lebensadern unserer Gesellschaft – Geschichte und Zukunft der Infrastruktur. Frankfurt am Main. Fischer Verlag. 2018.
Dirk van Laak: Zur Geschichte der Infrastruktur: https://www.youtube.com/watch?v=-MOfO-oLefQ
Kelly Easterling – Extrastatecraft. The Power of Infrastructure Space. London. Verso Books. 2016. |