Kommentar |
Im langen 19. Jahrhundert etablierten sich (bereits existierende oder neu entstandene) Parlamente in nahezu allen Staaten Europas und weiteren Regionen der Welt. Damit einher geht eine theoretische Reflexion darüber, welche Funktionen eine Repräsentativversammlung haben sollte, wie eine parlamentarische Regierung zustanden kommen könnte, wie ein repräsentativdemokratisches System denn aussehen möge. Im Seminar wird es darum gehen, die durchaus unterschiedliche Geschichte von Demokratisierung, Parlamentarisierung und Repräsentatividee in der neueren Geschichte zu konzeptionell nachzuvollziehen. Die frühneuzeitlichen Wurzeln des Parlaments als werden dabei genauso eine Rolle spielen wie die Parlamentarismustheorien des 19. und 20. Jahrhunderts.
Es sollen einerseits Ideale, Konzepte und Mechanismen (Repräsentation, Parlamentssouveränität, Wahl, Gewaltenteilung, Gleichheit, Minderheitenrechte) analysiert werden, anderseits klassische Texte (etwa von Jeremy Bentham, Walter Bagehot, Thomas Jefferson, Alexis de Tocqueville, Thomas Paine, John Stuart Mill, Friedrich Bülau, Max Weber, Carl Schmitt, Ludwig Bergsträsser, Karl Löwenstein, Klaus von Beyme, Dolf Sternberger, Ernst Fraenkel, Kurt Kluxen u.a.) im close reading wiederentdeckt werden. Im Seminar werden dabei solche Texte in ihrer inhaltlichen Substanz wahrgenommen aber auch historisiert, also als Quellen in ihrer Zeit rekonstruiert.
Der Einstieg wird über die Begriffsgeschichte erfolgen. Deshalb sollte als Pflichtlektüre zur ersten Sitzung gelesen sein: Hans Boldt: Parlament, parlamentarische Regierung, Parlamentarismus, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 4, Stuttgart 1978, S. 649-676.
Weitere Literatur in Auswahl: Remieg Aerts u.a. (Hrsg.): The ideal of parliament in Europe since 1800, Cham 2020; Hans Boldt: Parlamentstheorie. Anmerkungen zu ihrer Geschichte in Deutschland, in: Der Staat 19 (1980), S. 385-412; Wilhelm Hofmann/Gisela Riescher: Einführung in die Parlamentarismustheorie, Darmstadt 1999; Pasi Ihalainen/Cornelia Ilie/Kari Palonen (Hrsg.): Parliament and Parliamentarism. A Comparative History of a European Concept, New York/Oxford 2016; Kurt Kluxen (Hrsg.): Parlamentarismus, Köln 1976; Michael Koß: Parliaments in Time. The Evolution of Legislative Democracy in Western Europe, 1866- 2015, Oxford 2018; Kari Palonen/José Maria Rosales (Hrsg.): Parliamentarism and Democratic Theory. Historical and Contemporary Perspectives, Leverkusen 2015; Kari Palonen: Parliamentary Thinking. Procedure, Rhetoric and Time, Cham 2018; Andreas Schulz/Andreas Wirsching (Hrsg.): Parlamentarische Kulturen in Europa. Das Parlament als Kommunikationsraum, Düsseldorf 2012; Dolf Sternberger: Der Ursprung der repräsentativen Demokratie, Erlenbach-Zürich/Stuttgart 1970. |