Verfassungen zeugen von der Selbstbeschränkung staatlicher Macht und der Ermöglichung (staats)bürgerlicher Rechte. In Russland und der Sowjetunion standen diese Themen über mehr als ein Jahrhundert im Schatten außergesetzlicher Autoritäten (Zar und Parteiführung), doch auch hier gibt die Geschichte des Konstitutionalismus Aufschluss über die Ausformung moderner Staatlichkeit und die Parameter für die Entstehung und Verhinderung einer staatsbürgerlichen Gesellschaft. In den letzten 120 Jahren wurden in Russland die Grenzen staatlicher Macht und individueller Entfaltung stetig neu definiert, verworfen und teils mit epochaler Gewalt durchgesetzt. Diese Umwälzungen nehmen wir zum Anlass und fragen: Welche Bedeutung hatten Verfassungsnormen für das russische und sowjetische Regierungshandeln und die individuelle Lebenswirklichkeit; wie weit wurden Staatsgewalt reglementiert und individuelle Rechte garantiert, und wie veränderte sich dieses Verhältnis in einem Jahrhundert der Welt- und Bürgerkriege, des Terrors und des imperialen Zerfalls? War die Sowjetunion eine sozialistische Verfassungsordnung und wenn, was hielt sie zusammen? Die Übung diskutiert auf deutsch- und englischsprachiger Quellengrundlage die Epochenumbrüche der jüngeren russischen Geschichte durch das Prisma der Verfassungen - von Nikolaus II bis Vladimir Putin.
Literatur: William Pomeranz: Law and the Russian State. Russia’s Legal Evolution from Peter the Great to Vladimir Putin. London 2019; Dietmar Neutatz: Träume und Alpträume. Eine Geschichte Russlands im 20. Jahrhundert. München 2013. |