Kommentar |
Das Verhältnis zur Antike bildet einen der großen Pulsmesser europäischer Kulturgeschichte. So ist auf dem Gebiet der Künste insbesondere die Frage nach Modernität genuin mit dem Verhältnis zum Altertum – als Inbegriff von Tradition – verknüpft. Die ästhetische Moderne, so eine geläufige Vorstellung, beginne dort, wo sich die Werke von einer 'akademisch-klassizistischen Regelästhetik' emanzipieren. In Auseinandersetzung mit der besonderen Bedeutung der Historienmalerei und mit dem Ideal einer (vermeintlich) rationalistischen Produktions- und Rezeptionsästhetik entstehen im Laufe des 18. Jahrhunderts Kunstkonzepte, die sich verstärkt der politisch-sozialen Gegenwart, dem Alltäglich-Gewöhnlichen oder dem Individuum als sinnlich-phantasiebegabtem Wesen widmen. Zudem setzt ein Prozess der Autonomisierung malerischer Mittel ein, der letztlich der gegenstandslosen Kunst das Feld bereitet. Im Vergleich dazu kann eine Kunst, die sich weiterhin an Antike und Tradition orientiert, schnell als rückständig erscheinen. Zu dieser Auffassung vom Weg der europäischen Bildkunst in die Moderne möchte das Seminar eine alternative Lesart versuchen. Dazu macht es die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit der Variabilität klassizistischer Kunstwerke (u.a. von Poussin, Maratti und Kauffmann) bekannt. Es widmet sich Gemälden sowie Zeichnungen und versucht, ein Analyseinstrumentarium zu entwickeln, das auch den jeweiligen Produktions- und Rezeptionskontexten in ihren Spezifika gerecht wird. Das Ziel des Seminars ist jedoch nicht nur die Würdigung klassizistischer Kunst in ihrer gestalterischen, sondern auch in ihrer konzeptuellen Vielfalt. Zu diesem Zweck sollen die analysierten Werke in ein Wechselverhältnis mit kunstphilosophischen Leitkategorien des 17. und 18. Jahrhunderts – wie ‚Nachahmung‘, ‚Natur‘ oder ‚Schönheit‘ – gebracht werden. Dadurch sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Lage, eine über die Stil- und Sujet-Ebene hinausgehende Vergleichsperspektive für klassizistische und romantische Kunst zu entwickeln. Insgesamt möchte das Seminar also eine Hilfestellung bieten, um zu einem differenzierten Urteil über die Bildmedien im Zeichen der Antike sowie über Kriterien ästhetischer Modernität zu gelangen. |
Literatur |
- Giovan Pietro Bellori: L’Idea del pittore, dello scultore e dell’architetto [1672] / Die Idee des Malers, des Bildhauers und des Architekten, hrsg. von Elisabeth Oy-Marra, Göttingen 2018. - Joachim Winckelmann: Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst, Dresden 1756. (online verfügbar)
- [AK] Mengs. Die Erfindung des Klassizismus, Padua/Dresden 2001. - [AK] L’antiquité rêvée. Innovations et résistances au XVIIIe siècle, Paris 2010. - [AK] Classicisms, Chicago 2017. - Andreas Beyer: Die Kunst des Klassizismus und der Romantik, München 2011. - Ulrich Heinen: Einleitung, in: Welche Antike? Konkurrierende Rezeptionen des Altertums im Barock, Bd. 1, hrsg. von dems., Wiesbaden 2011, S. 11-27. - David Irwin: Neoclassicism, London 1997/2000. - Wilhelm Vosskamp: Art. Klassisch/Klassik/Klassizismus, in: Ästhetische Grundbegriffe. Studienausgabe. Bd. 3. Harmonie bis Material, hrsg. von Karlheinz Barck u.a., Stuttgart 2001/2010, S. 289-305. |