Kommentar |
Bachelor
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BA_KG 2 A, BA_KG 4 A
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Master
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MKG 3 A, MKG 4 A
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Sich finden, sich verlieren: In dieser Vorlesung geht es um Geschichte und Aktualität der Freundschaft. Vertrauen, Fürsorge, Sympathie – im Zeitalter der Individualisierung wächst der Bedarf an Bindungen und Beziehungen jenseits der Lebensform Familie. Was können Freundschaften leisten? Was kann ihnen zugemutet werden? Siegfried Kracauer verstand darunter die „Seligkeit des Begriffenwerdens, des Aufgehobenseins in einer fremden Seele”. Er betonte auch, dass diese Beziehungsform zugleich zeitlos wie zeitgebunden ist. Für die Entfaltung der Freundschaftsidee benötigte es spezifischer historischer Voraussetzungen: Freiheit und ein Verständnis des Menschen als selbstbewusstes Individuum, das über die Souveränität verfügt, sein Leben selbst zu realisieren und zu gestalten. Die Vorlesung will Geschichte und Aktualität dieser auf Freiwilligkeit basierenden Beziehungsform thematisieren und Facetten der Freundschaftskultur inspizieren. Verwandtschaft lässt sich nicht heraussuchen; man kann sich aus der Familie nicht davonstehlen. Freundschaft dagegen folgt der Freiheit der Wahl. Ehe und Familie, deren Verbundenheit eine biologische Basis besitzt, genießen den Schutz des Gesetzes; Freundschaften, die nur im Wollen gründen, kommen ohne ihn aus. In der Vorlesung geht es um Theorien dieser sozialen Beziehungsform, die in der Antike fundamentierte Idee der Freundschaft, die Geschichte ihrer Entfaltung im bürgerlichen „Zeitalter der Freundschaft” zwischen 1750 und 1850, nachdem die Individuen in der Neuzeit aus ihren religiösen und ständischen Bedingungen entlassen wurden. „Nichts ist verbreiteter als der Name, nichts ist seltener als die Sache”, befand Jean de La Fontaine nüchtern, und formulierte damit die Einsicht, dass echte Freundschaft ein rares Gut ist. Was ist Freundschaft heute und was kann sie leisten? Die Vorlesung inspiziert Typologien der Freundschaft und sucht nach Grenzen zu Gesinnungs- und Zweckbündnissen, Seilschaften und Netzwerken wie auch der Liebe. Es geht um Kameradschaft, Männer- und Frauenfreundschaften, Rituale der Freundschaft, Verbindungen zwischen Gleichen und Ungleichen, digitale Beziehungen und soziale Medien etc. Im Zeitalter der Individualisierung und der Pluralisierung von Lebensformen, da Ehe und Familie den Rang als verbindliche Lebensmodelle gravierend eingebüßt haben, nehmen sowohl die handfest-praktischen wie die emotionalen Bedeutungen von Freundschaften zu. „Sorgende Freunde” sind nicht erst, aber vor allem im Alter notwendig.
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Literatur |
Einführende Literatur: Friedrich H. Tenbruck: Freundschaft. Ein Beitrag zu einer Soziologie der persönlichen Beziehungen, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 16 (1964), S. 431-456. Klaus Manger/Ute Pott (Hrsg.): Rituale der Freundschaft, Heidelberg 2009. Andreas Schinkel: Freundschaft. Von der gemeinsamen Selbstverwirklichung zum Beziehungsmanagement – die Verwandlungen einer sozialen Ordnung, Freiburg 2003. Katharina Münchberg/Christian Reidenbach (Hrsg.): Freundschaft. Theorien und Praktiken, München 2012. Janosch Schobin: Freundschaft und Fürsorge. Bericht über eine Sozialform im Wandel, Hamburg 2013. Teresa Thieme (Hrsg.): Freundschaft! Mythos und Realität im Alltag der DDR, Stadtmuseum Jena 2015.
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