Kommentar |
Ob Hesiod oder Homer älter gewesen sei, war schon in der Antike umstritten, und die Frage kann bis heute nicht als schlüssig beantwortet gelten. In der Regel datiert man Hesiod heute um 700 v. Chr., den Iliasdichter entweder etwas früher oder etwas später.
Hesiods erstes Werk, die Theogonie, auf die er in den Werken und Tagen Bezug nimmt, ist grundsätzlich der Katalogdichtung zuzurechnen, die sich jedoch an interessanten Stellen zu umfangreichen narrativen Partien auswächst. Sie bietet eine Genealogie der Götter und zum Teil auch der Heroen, die mit Wahrheitsanspruch auftritt und versucht, die Götter als in der Welt wirkende Mächte zu verstehen, deren genealogischer Zusammenhang zugleich eine sachliche Abhängigkeit bezeichnet. So wird das Werk zu einer Quelle vorphilosophischer Spekulation über die Gegebenheiten in der Welt, in der wir leben.
Mit seinem zweiten Werk, den Werken und Tagen, wird Hesiod zu dem ersten Dichter, der direkt, also ohne Brechung durch eine mythische Vergangenheit, etwas über die Lebensverhältnisse im späten 8. oder frühen 7. Jahrhundert berichtet, und zwar in dem kleinbäuerlichen Umfeld Boiotiens (Askra etwa 30km westlich von Theben), in dem er selbst lebte. Seine Deutungen, Empfehlungen, Forderungen (auch gegenüber seinem Bruder Perses) bewegen sich dabei ebenfalls auf einem vorphilosophisch hohen Reflexionsniveau.
Beide Werke sind in der Antike, und zwar seit der Lyrik der archaischen Zeit, stark rezipiert worden und haben sowohl das theologisch-kosmologische als auch das theologisch-ethische Denken im frühen Griechenland stark angeregt. Schon bei Hesiod findet sich eine rational-kritische Auseinandersetzung mit der «mythischen» Tradition.
Wir wollen in diesem Seminar einen Eindruck von Hesiods Gesamtwerk (unter Einschluss des Frauenkatalogs) gewinnen und dazu vor allem die narrativ ergiebigen Teile gemeinsam lesen. |
Literatur |
Textausgabe: Zur Anschaffung empfohlen: OCT von Solmsen und (für die Fragmente) Merkelbach-West, Oxford 1990.
Kommentare: Martin L. West, Hesiodus, Theogony, Oxford 1966. Ders., Hesiod, Works and Days, Oxford 1978.
Übersetzung (mit sehr hilfreichen Anmerkungen): Hesiod, Sämtliche Gedichte: Theogonie, Erga, Frauenkataloge, übers. und erl. von Walter Marg, Zürich u.a. 1970. |