Kommentar |
Sie wurde nur neunzehn Jahre alt, aber von ihr hat jede(r) bereits einmal gehört: Jeanne d’Arc (1412-1431), auch Johanna oder die Jungfrau von Orléans genannt, ist eine der faszinierendsten Figuren des Mittelalters. Das in einem kleinen Dorf in Lothringen geborene Bauernmädchen fühlte sich im Hundertjährigen Krieg gegen England zur Rettung Frankreichs auserkoren. Sie hatte Auditionen und Visionen, in denen ihr ein Erzengel erschien, und führte, so die Überlieferung, kampfesmutig die Truppen an. Mit ihrem Namen verknüpft ist die „Befreiung“ von Orléans, nahezu tragisch ihr Ende auf dem Scheiterhaufen, vielschichtig die Rezeption ihrer Taten in späteren Jahrhunderten. 1431 verbrannt, wurde sie 1456 rehabilitiert und schließlich 1920 heilig gesprochen. Jeanne d’Arc regte zur Auseinandersetzung geradezu an. Sie übertrat z.B. Geschlechtergrenzen, indem sie Männerkleidung trug und in den Kampf zog, und Grenzen zwischen verschiedenen Gesellschaftsschichten, indem sie trotz einfacher Herkunft Zugang zum Königshof fand und mit Argumenten aus ihrer Volksfrömmigkeit wichtigen Theologen der Zeit die Stirn bot.
Im Seminar konturieren wir zum einen durch die Lektüre der Prozessakten und -protokolle die ‚historische’ Figur. Zum anderen untersuchen wir die Rezeption Jeannes, denn wie kaum eine andere Gestalt dieser Epoche eignete sie sich zur Vereinnahmung für moderne Interessen: Sie fungiert als Nationalheldin, ‚Befreierin’ gegen Besatzer, wurde von der Kirche ebenso vereinnahmt wie vom rechtsextremen Front National. Auf diese Weise soll gemeinsam erarbeitet werden, wie Geschichte eine Figur konstruiert. |