Kommentar |
Bachelor
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BA_VK 4 A, BA_VK 3 A
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Master
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MVK 1 A
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„Fridays for Future” – „Es ist unsere Zukunft!” (Greta Thunberg). Wie Namen und Parolen indizieren: Nicht zuletzt werden die mentalen Energien der globalen Klima- und Protestbewegungen aus einer verunsichernd erfahrenen Zukunftsungewissheit und der Reklamation auf eigene Zukunftsgestaltung gespeist. In den gegenwärtigen gesellschaftlichen Polarisierungen erfahren die großen Fragezeichen der Zukunft ganz unterschiedliche Beantwortung – zum einen durch massive Orientierung an Modellen und Rezepturen der Vergangenheit, zum anderen durch Forderungen nach radikalem Umbau von Gesellschaft, Kultur und Lebensweisen, getragen von Zweifel am Taktgeber Fortschritt. Dies soll Anlass sein, in dieser Vorlesung das Kultur- und Gesellschaftswesen Mensch als eine Spezies zu befragen, deren Leben auf Zukunft gerichtet ist. Was ist Zukunft? Als Grundelement und unwägbarer Horizont linearer Zeit ist sie prinzipiell offen und wie alles Zeitbewusstsein eine kulturell und historisch variable Größe! Es geht in dieser Vorlesung also um Zukunftserwartungen, -hoffnungen und -ängste in Geschichte und Gegenwart.
Was ist aus der Zukunft geworden? Da in aktuellen Diskursen um Erinnerung und kulturelles Gedächtnis Zukunft zu einer Schrumpfgröße zu geraten droht, zielt die Vorlesung zunächst auf Grundlagen von linearen und zyklischen Zeit-Modellen und Zeit-Theorien, in denen Beziehungen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft geknüpft werden. Nach diesen Bestimmungsversuchen der Fundamentalkategorie Zeit und Formen des Zeitbewusstseins geht es um unterschiedliche Möglichkeiten der Antizipation von Zukunft und die Geschichte von Zukunftsentwürfen als Ausflüge in die Welt von Morgen: Utopie, Vision, Orakel, Planung, Wahrsagen, Prognose, Prophetie, Erwartung, Sehnsucht, Vorausschau, Berechnung, Futurologie... All dies wird wider besseres Wissen geleistet: Wer sich an Prognosen oder Utopien wagt, wird über kurz oder lang auf die Nase fallen.
Zukunftsvorstellungen erweisen sich in der Regel alsbald als Luftschlösser. Aber sie sind und bleiben Motoren menschlichen Handelns: Sie entstehen auf dem Humus aus Sorgen und Wünschen von Menschen, ihren Erfahrungen der Vergangenheit, aus der Berechnungen und Sehnsüchte für kommende Zeiten abgeleitet werden. Aus der Perspektive von Lebenswelt und Erfahrung soll in der Vorlesung dingfest gemacht werden, wie Kultur den Umgang mit Zeit und damit auch Zukunft sinnhaft organisiert – in Ritualen, materieller Kultur zur Organisation künftiger Zeit (Kalender, Uhr), Vorstellungen individuellen Glücks, Formen popularer Kultur wie Märchen, Mythen, Science Fiction. Was sind die Vorstellungen, die sich Menschen zu unterschiedlichen Zeiten von „ihrer” Zukunft gemacht haben? Was macht Arbeitslosigkeit aus Zukunftshoffnungen? Mit welchen Aktivitäten der Vorsorge orientieren sich Menschen auf ihre Zukunft hin? Es geht um Praktiken der materiellen und immateriellen Zukunftsvorsorge, um Träumen, Hoffen, Wünschen, Sehnen, Begehren, Warten.... |
Literatur |
Einführende Literatur: Reinhart Koselleck: Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. M. 1989. Georges Minois: Geschichte der Zukunft. Orakel, Prophezeiungen, Utopien, Prognosen, Düsseldorf/Zürich 1998. Lucian Hölscher: Die Entdeckung der Zukunft, Frankfurt a. M. 1999. Lucian Hölscher: Zukunft und Historische Zukunftsforschung, in: Friedrich Jäger, Burkhard Liebsch (Hrsg.): Handbuch der Kulturwissenschaften, Bd. 1: Grundlagen und Schlüsselbegriffe, Stuttgart 2004, S. 401-416. Joachim Radkau: Geschichte der Zukunft. Prognosen, Visionen, Irrungen in Deutschland von 1945 bis heute, München 2017. |