Kommentar |
Der aus Kaunas (Litauen) stammende französisch-jüdische Denker Emmanuel Levinas (1906-1995) ist nicht allein bekannt für seine Philosophie der Andersartigkeit des anderen Menschen, sondern auch dafür, dass er neben anderen nach der Shoah, der Ermordung von mehr als sechs Millionen jüdischen Menschen in Europa, die der nationalsozialistische Totalitarismus zu verantworten hat, „ein intellektuelles Judentum repräsentierte, dem die Tradition nicht fremd war und das nicht mit ihr brach” (Stegmaier, W., Philosophie und Judentum nach Emmanuel Levinas, in: W. Stegmaier (Hg.), Die philosophische Aktualität der jüdischen Tradition, Frankfurt a. M. 2000, S. 435f.).
Indem Levinas die „jüdische Weisheit“, wie sie dem Talmud eingeschrieben ist, in „griechischer Sprache“, sprich in abendländisch-philosophischer Sprache, zu formulieren trachtet, die sich wiederum aus der „griechischen Weisheit“ ableitet (vgl. ibid, S. 435), initiiert er einen Dialog zwischen der „ganzen ehrwürdigen Gesellschaft der Philosophen von Jonien bis Jena“ (Rosenzweig, F., Der Stern der Erlösung, Frankfurt a. M. 1988, S. 13) und der rabbinisch-jüdischen Tradition, die sich unvergleichlich im spätantik-mittelalterlichen Talmud niederschlägt, der den in der Diaspora lebenden Juden ein „Heimatland“ war (vgl. Boyarin, D., A Traveling Homeland, Philadelphia 2015).
Levinas‘ Talmud-Auslegungen, die sich vornehmlich an jüdische Intellektuelle richtete, „denen durch Assimilation das Judentum fremd geworden war“ (ibid., S. 437), zeichnen sich durch einen Zugang zu Texten einer fremden Tradition aus, der weder ein sich Verlieren zwischen den geistigen Welten bedeutet, noch eine Synthese dieser erzwingt. Vielmehr zeichnet sich die Levinassche Lesart dadurch aus, dass beide Traditionen unvermischt nebeneinander existieren können und sich – ohne das Unternehmen einer Totalisierung durch den jeweils anderen – etwas zu sagen haben.
Die Veranstaltung ist als Lektüreseminar gedacht, in dem pro Veranstaltung ein ausgewählter Text analysiert werden soll – Levinassche Konzepte wie Alterität, Gerechtigkeit und Verantwortung stehen im Zentrum der Betrachtung, sowie Fragen nach Zugang und Umgang mit Texten religiöser Traditionen (Bibel, Koran, Talmud etc.).
Kenntnisse der hebräischen Bibel und der rabbinischen Tradition sind von Vorteil, sowie Kenntnisse des Hebräischen und Aramäischen, aber keine Zulassungsvoraussetzung, da die Texte vornehmlich in Übersetzung studiert werden. |