Kommentar |
Bachelor
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BA_VK 3 A
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Master
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MVK 1 A
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Das Handlungsfeld der menschlichen Ernährung ist global gesehen charakterisiert von einer Gleichzeitigkeit markanter Widersprüche: In bestimmten Milieus avanciert die Frage des Essens zu einer Schlüsselfrage und wird verknüpft mit Lebensstilen, politischen Fragen globaler Gerechtigkeit (Ernährungssouveränität), ethischen Implikationen des Speziesismus (vegan, vegetarisch), ökologischer Nachhaltigkeit und Natürlichkeit oder Kriterien des guten Lebens. Gleichzeitig schreitet weltweit die Industrialisierung der Produktion und Konsumption von Nahrung fort und erzeugt weitere Distanzen zwischen Essen und Essern – Vertrautheitsschwund, Versachlichung, Schrumpfung von Ernährungsfragen auf funktionelle Vorgänge. Kaum irgendwo anders als beim Essen und Trinken offenbart sich das Kulturwesen Mensch vielfältiger und nuancenreicher als in seiner Ernährung, bei der ein biologischer Trieb verwandelt wird in eine kulturelle Angelegenheit. Dies umfasst die Produktion von Nahrung als Nutzung und Kultivierung von Natur, die Tätigkeiten des Kochens als Transformation roher Natur in Kultur, das soziale und sozialisierende Ereignis der Mahlzeit oder die Durchdringung und Regulierung dieses alltäglichen Handlungsfeldes mit Vorstellungen religiöser, sozialer und kultureller Identität. Kurzum: Was wird „beim Essen alles mitgegessen?“ (Utz Jeggle) Glaube, Moral, soziale Ordnung (Gastmahl, Familie, Einsamkeit ...), Geschlechterordnungen, Schönheitsideale, Werte und Normen, Heimat, Fremdes, Glück, Ohnmacht....
Im Mittelpunkt der Vorlesung stehen in diesem Verständnis die identitätsverbürgenden Dimensionen der menschlichen Ernährung und die kulturellen Aspekte des Essens und Trinkens als „soziales Totalphänomen“ (M. Mauss): der Mensch als das „kochende Tier“, Identität und Differenz, Natur und Kultur, Globalisierung und Regionalisierung, das Essen der Geschlechter, kulinarische Moral, Fleischverzehr und Vegetarismus, Nahrungstabus, Rituale, Lust und Ekel, Fast-Food und Slow-Food, Fasten und Völlerei u.a. Neben theoretischen Grundlagen der Nahrungsethnologie wird Bekömmliches und eher schwerer Verdauliches aus volkskundlichen Forschungs- und Arbeitsfeldern serviert. |
Literatur |
Gunther Hirschfelder: Europäische Esskultur. Eine Geschichte der Ernährung von der Steinzeit bis heute, Frankfurt a.M. 2001. Katja Herzke/Friedemann Schmoll: abgeschmeckt und aufdeckt. alles übers essen, Köln 2007. Eva Barlösius: Soziologie des Essens. Eine sozial- und kulturwissenschaftliche Einführung in die Ernährungsforschung, 3., durchgesehene Aufl., Weinheim/Basel 2016. |