Kommentar |
Mitte des 19. Jahrhunderts überwand Russland formal die Leibeigenschaft. Die Bauern und Bäuerinnen des russländischen Imperiums waren nach Jahrhunderten rechtlich nicht mehr an das Land und dem Willen der Gutsbesitzer gebunden. Das ländliche Russland war im Umbruch begriffen. Ständische Sozialstrukturen gerieten unter den Druck von Urbanisierung, Arbeitsmigration, Bevölkerungswachstum aber auch zyklisch wiederkehrenden Missernten. Millionen drängten in die Städte, kämpften ums Überleben, um Land und auch politische Teilhabe. Die „Bauernfrage“ war die größte Herausforderung der russländischen Moderne. Über die Oktoberrevolution hinweg rangen Machthaber in St. Petersburg und im Kreml um eine Lösung und darum, den ländlichen Raum zu verstehen, zu erschließen und zu kontrollieren. Das Seminar diskutiert auf Grundlage englisch- und deutschsprachiger Quellen von Alexander II. bis Josef Stalin die wichtigsten Etappen dieser Auseinandersetzung und beleuchtet dabei bäuerliche Agency im russländischen Reich, den ländlichen Strukturwandel sowie politische und kulturelle Konflikte im Umgang mit Russlands bäuerlicher Lebenswelt.
Literatur: Jerome Blum: Lord and Peasant in Russia. From the Ninth to the Nineteenth Century. Princeton 1961; David Moon. The Russian Peasantry 1600-1930: The World the Peasants Made. New York 1999; Boris Mironov: A Social History of Imperial Russia, 1700-1917. Esther Kingston-Mann/Timothy Mixter (Hrsg.): Peasant Economy, Culture, and Politics of European Russia, 1800-1921. Princeton 1991; Lynne Viola: Peasant Rebels under Stalin. Collectivization and the Culture of Peasant Resistance. New York 1999. |