Die Frage nach dem Gewissen – sei es nun die Stimme Gottes im Menschen, ein innerer Gerichtshof oder etwas anderes – ist einer der wichtigsten Punkte bei der Frage nach der Rolle der Individualität in der Ethik. Hieran knüpfen sich Fragen auf mehreren Ebenen:
Einige zentrale Punkte betreffen die Autorität des Gewissens im moralischen Akt: Welche Rolle spielt das individuelle Urteil für die Geltung einer Norm für ein bestimmtes Individuum? Darf man aufgrund eines Gewissensurteils eine gebotene Handlung nicht ausführen? Darf man sogar im Einzelfall etwas an sich Verbotenes bzw. Schlechtes tun? Entschuldigt ein Gewissensurteil falsche Handlungen oder Überzeugungen?
Andere Punkte berühren die anthropologische Rolle des Gewissens: Ist das Gewissen ein eigenes Seelenvermögen? Ist das Gewissen eine Funktion der Vernunft, des Willens oder des Gefühls?
Schließlich gibt es Fragen nach den Wurzeln des Gewissens: Ist das Gewissen an gesellschaftliche Normen gebunden oder an natürliche Normen, welche die Gesellschaft überschreiten? Beruht das Gewissen auf einem direkten Zugang zu Grundnormen der Moralität?
Alle diese Fragen werden bereits in der Philosophiegeschichte weithin diskutiert und geben Anlass zu differenzierten und kontroversen Urteile. So können im Seminar Texte von Augustinus, Abaelard, Thomas von Aquin, Kant und Heidegger gelesen werden, welche ganz unterschiedliche Perspektiven auf das Gewissen eröffnen. |