Überraschend viele der derzeit öffentlich geführten Diskussionen kreisen um Praktiken und Vollzüge des Alltags. Ob es um die Verwendung geschlechtersensibler Sprache (das sogenannte ›Gendern‹) geht, um das Tragen bestimmter Frisuren und Kleidungsstile (Stichwort ›cultural appropriation‹) oder um die Verwendung möglichst klimaneutraler und/oder energiesparender Konsumgüter, der ›Alltag‹ scheint gegenwärtig an vielen Stellen zu einem zentralen Schauplatz der politischen Kämpfe und Diskussionen geworden zu sein. Doch wie politisch darf der Alltag sein? Während manche Menschen im Streit um die politischen Dimensionen des Alltages lediglich einen selbstverständlichen und längst überfälligen Schritt erkennen können, erleben andere Menschen diese Entwicklung als eine illegitime Politisierung der als prinzipiell unpolitischen angesehenen Sphäre des Alltagslebens, als unliebsame Bevormundungsversuche durch gesellschaftliche Eliten oder sogar als drohenden Übergriff auf die gesellschaftlich verbürgte Freiheit des Einzelnen.
Doch was entscheidet eigentlich darüber, wie wir die politischen Dimensionen des Alltagslebens wahrnehmen? Auf welche Weise ist ›Politik‹ im Alltag vertreten? Welche politischen Dimensionen des Alltagslebens werden wahrgenommen und welche nicht? Und was bedeutet das wiederum für das Verständnis und die Erforschung der politischen Konflikte der Gegenwart?
In der zweisemestrigen Lehrforschung (angefangen haben wir im WS 2022) werden wir uns gemeinsam mit diesen Fragen befassen.
Im Verlaufe des ersten Semesters haben wir eine methodologische sowie inhaltliche Grundlage erarbeiten, auf deren Basis nun im zweiten Semester ein eigenes Forschungsprojekt zum Thema durchgeführt wird.
Über die thematische Auseinandersetzung mit der alltagsweltlichen Perspektive auf Politik und Gesellschaft werden wir uns im Verlauf von zwei Semestern mit ausgewählten Erhebungs- und Auswertungsmethoden der qualitativen Sozialforschung beschäftigen. Der Fokus liegt dabei auf dem Gruppendiskussionsverfahren sowie auf der dokumentarischen Methode und der Tiefenhermeneutik. |