6.10. Die sechs Plätze für Studierende der FSU Jena sind vergeben, eine nachträgliche Einschreibung bei Friedolin ist nicht mehr möglich!
Jedes Jahr bricht der Masterstudiengang Interdisziplinäre Polenstudien (MLU Halle & FSU Jena) für eine Woche zu einer polnischen Partneruniversität auf, um sich gemeinsam mit polnischen Student*innen und Dozent*innen mit einem aktuellen Rahmenthema aus den Perspektiven unterschiedlicher Fächer zu beschäftigen. Darüber hinaus geht es darum, eine Stadt zu erkunden. Studierende verwandter Fächer (MA und fortgeschrittener BA) sind eingeladen, sich der Exkursion anzuschließen. In Absprache mit ihren Dozent*innen können Sie die Exkursion als Studienmodul anerkennen lassen. Polnischkenntnisse sind nicht erforderlich.
Im November 2022 sind wir zum zweiten Mal in diesem Jahr in Katowice, doch diesmal unter anderen Voraussetzungen und mit gewachsenen Netzwerken.
Der Krieg Russlands in der Ukraine ist omnipräsent. Wir erleben ihn als militärische, politische und sprachlich-kulturelle Konfrontation. Oft fehlen die Distanz und die Einsicht in Zusammenhänge, um die Lage zu verstehen und kritisch zu beurteilen. Was wir aber haben, sind historische und gegenwärtige Vergleichsfälle, die wir als Ressource nutzen können, um die russisch-ukrainische Konfrontation zu reflektieren und auf mögliche Lösungen einzuwirken. Ein Beispiel ist Oberschlesien. Kommen Sie mit uns – dem Master Interdisziplinäre Polenstudien – vom 4. bis 11. November auf Exkursion, um Katowice und Umgebung zu erkunden!
Das Rahmenthema »Konfrontationen« zielt auf mehrere Zeitschichten der Region Schlesien: Dort lag bis 1918 das Dreikaisereck – der Ort, an dem das Deutsche Reich, die Habsburgermonarchie und das Russische Imperium direkt aneinandergrenzten. Polen entstand erst 1918 wieder als souveräner Staat. Nach dem Ersten Weltkrieg war die Region zwischen Deutschland und Polen umstritten. Je nach Perspektive galt sie als Raum der deutschen Kolonisierung, der preußischen Industrialisierung oder der deutsch-polnischen Verschmelzung zu einer dritten, schlesischen Ethnizität, die bis in die Gegenwart reklamiert wird. Heute ist Oberschlesien eine der wenigen polnischen Regionen mit einem starken Regionalbewusstsein. Auch sprachlich ist Schlesien ein Sonderfall: lange im Spannungsfeld zwischen polnischsprachiger Mehrheitsbevölkerung und deutschsprachiger Elite gefangen, so ist heute das Schlesische als 'gemischte' Sprache dabei, zu einer anerkannten Minderheitensprache aufgewertet zu werden.
Vor Ort geht es uns aus unterschiedlichen geistes- und sozialwissenschaftlichen Perspektiven um die Frage, was aus Konfrontationen erwachsen kann: Nur Konflikt und Gewalt? Oder auch Verflechtung und Zusammenhalt? Damit setzen wir uns in den Städten der Region – in Theatern, Museen und Begegnungen mit politischen und kulturellen Aktivist*innen – auseinander. Unsere Kooperationspartner sind v.a. die Schlesische Universität und das Schlesische Theater in Katowice, sowie das Institut für polnische Sprache in Krakau, mit denen wir bereits während der Exkursion Anfang April zusammengearbeitet haben.
Beschreibungen der Blöcke
Block Sprachwissenschaft: Identität und Sprache: Sprachbiographien entlang der (un)sichtbaren Grenze zwischen Schlesien und Zaglebie
Betreuer: Ruprecht von Waldenfels & Maciej Eder
Block Literaturwissenschaft: Anderes Wissen – anderes Erzählen. Normbrüche und Devianz in „Bombel” von Miroslaw Nahacz
Betreuer: Johann Wiede
„Bombel” ist der zweite Roman (2004, dt. 2008) des jung verstorbenen Dichters und Autors Miroslaw Nahacz (1984-2007). Nahacz ist im südpolnischen Landkreis Gorlice an der slowakischen Grenze aufgewachsen und wurde als junger Autor früh von Andrzej Stasiuk, einem der bekanntesten Autor Polens und Mit-Inhaber des wichtigen Verlags Czarne protegiert. Im titelgebenden „Bombel” erleben wir den monologischen Redeschwall eines Trinkers, Schwadroneurs, unzuverlässigen, schillernden Erzählers, der sich mal sympathisch, mal unsympathisch, politisch fragwürdig und unangepasst sich und seine Umwelt neu erschaft wie hinterfragt.
Am Text lassen sich verschiedene formale Verfahren hinsichtlich der Erzählperspektiven, „Erzählen” vs. „Sprechen”, des Wechsels von Sprachregistern und von Mündlichkeit und Schriftlichkeit zeigen. Inhaltlich werden wir uns im Block mit dem Kontext der Erzählung, der gesellschaftlichen Realität von Polen im Jahr 2003, dem Jahr vor dem EU-Beitritt – auseinandersetzen.
Wir erarbeiten gemeinsam literarische Diskurse zwischen Prosa und Poesie, Authentizität und Inszenierung und der Trennung zwischen Autor und Erzähler sowie gesellschaftspolitischen Diskursen wie den Polaritäten zwischen Stadt und Land, dem Bild von Außenseitern sowie ihrer Rolle als deviante Kritiker des kapitalistischen Fortschritts.
Anhand dem bei Agatha Frischmuth angezeigten „Potential des Nichtstuns als politische Praxis” werden wir uns diesem modernen Schelmenroman nähern, der in einer Reihe mit emblematischen Texten neuerer polnischer Literatur zu Anfang des 21. Jahrhunderts wie Schneeweiß und Russenrot / Wojna polsko-ruska pod flaga bialo-czerwona” (2002) von Dorota Maslowska, die mit Nahacz befreundet war, steht.
Block Soziologie: Oberschlesische Identität
Betreuer: Dr. Justyna Kijonka, Uniwersytet Slaski
Block: Theatermacher_innen: Sprachlich-kulturelle Konfrontationen oder Wer waren die deutschen Direktor*innen im Stadttheater Kattowitz 1907–1922 und 1940–1944?
Betreuer: Yvonne Kleinmann/Zbigniew Feliszewski
Lehrende Dr. Paulina Gulinska-Jurgiel (Halle), Prof. Dr. Yvonne Kleinmann (Halle),Prof. Dr. Ruprecht von Waldenfels (Jena), Johann Wiede, M.A. (Jena)
Kosten Reise- und Übernachtungskosten werden vollständig aus Mitteln des DAAD gedeckt.
Weitere Informationen: johann.wiede@uni-jena.de
|