Kommentar |
Sie sind keine leibhaftigen Zeug:innen des Sozialismus, aber „erkennen“ beim ersten Blick auf „alte Fotos“ dennoch „Kommunismus“? Wie entstand Ihr Wissen über den Sozialismus bzw. dessen stereotype Muster? Was macht fotografische Selbst- und Fremdbilder zur sozialistischen Gesellschaft tatsächlich spezifisch? Und was wird konkret sichtbar, was bleibt ausgeblendet, wenn wir Fotografien aus dem Spätsozialismus systematisch und national vergleichend betrachten, theoretisch und methodisch geleitet? Ein Bild lässt ja selten sehen, was über das Offensichtliche hinaus zu erkennen wäre. Welches Kontextwissen, welche Fragen, Begriffe und Haltungen helfen, will man Bilder analytisch betrachten?
Das Hauptseminar stellt Fotografien als grundsätzlich mehrdeutige visuelle Interpretationen und absichtsvolle Repräsentationen ins Zentrum der Analyse: in der Presse, in der Kunst, in der Opposition und Propaganda – und nicht zuletzt als sozial geprägtes Medium der Selbstverständigung im Privaten. Gründliche Auseinandersetzung mit bildwissenschaftlicher Theorie und der Visual History sind dabei verknüpft mit medien- und kunstgeschichtlichen Aspekten. Studierende sind eingeladen, auch private Familienalben zum Thema einzubringen.
Literatur zur Einführung: Schau ins Land. Ein Foto-Lese-Buch, Berlin und Weimar 1989; Die DDR im Bild. Zum Gebrauch der Fotografie im anderen deutschen Staat, hg. von Karin Hartewig und Alf Lüdke, Göttingen 2004; Das Jahr 1990 freilegen, hg. von Jan Wenzel u.a., Leipzig 2019; Erweiterung des Horizonts. Fotoreportage in Polen im 20. Jahrhundert, hg. von Iwona Kurz, Renata Makarska, Schamma Schahadat und Margarete Wach, Göttingen 2018; Heidrun Hamersky, Störbilder einer Diktatur. Zur subversiven fotografischen Praxis Ivan Kyncls im Kontext der tschechoslowakischen Bürgerrechtsbewegung der 1970er Jahre, Stuttgart 2015; Eszter Kiss, Verhandelte Bilder. Sozialistische Bildwelten und die Steuerung von Fotografien in Ungarn, Göttingen 2018; Jindrich Streit, Village people 1965-1990, hg. von Thomas Gust und Ana Druga, Prag und Berlin 2020. |