Kommentar |
Die lange vorherrschende Auffassung, die die Moderne primär als Zeitalter zunehmender Säkularisierung betrachtete, ist heute einer differenzierteren Sicht gewichen, die eher von einem Strukturwandel der Religionskultur ausgeht als von einem generellen Bedeutungsverlust religiöser Orientierungen. Kleriker und Theologen verloren ihre privilegierte Rolle bei der Formulierung religiöser Ideale, dies wurde nun auch zur Angelegenheit der weiblichen und männlichen religiösen Laien. Die Diskussionen verlagerten sich auch in nichtreligiöse Bereiche, konfessionelle Grenzen traten dabei häufig in den Hintergrund. Das Seminar wird das vielschichtige Mit-, Neben- und Gegeneinander von Rationalismus und Religion in den Diskursen und Lebenswelten von Männern und Frauen aufschlüsseln. Es wird danach gefragt, wie in verschiedenen sozialen Kontexten und in christlichen und nichtchristlichen Glaubensrichtungen die aufklärerischen Forderungen nach Freiheit und Vernunft in Bezug zu religiösen Argumentationsmustern gesetzt und welche Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit dabei jeweils formuliert wurden. Dabei wird auch die These einer sich seit dem Aufklärungszeitalter herausbildenden “Feminisierung” der Religion bzw. einer rein säkular konzipierten Männlichkeit kritisch überprüft.
Einführende Literatur: MONIKA MOMMERTZ/CLAUDIA OPITZ-BELAKHAL, Hg., Das Geschlecht des Glaubens. Religiöse Kulturen Europas zwischen Mittelalter und Moderne. Frankfurt am Main 2008; ANNE CONRAD, Rationalismus und Schwärmerei. Studien zu Religiosität und Sinndeutung in der Spätaufklärung. Hamburg 2008; ULRIKE GLEIXNER, Pietismus und Bürgertum: eine historische Anthropologie der Frömmigkeit. Göttingen 2005; ANNE CONRAD, Jenseits der Schranken des Geschlechts. Friedrich Schleiermachers Entwurf einer Religion für eine “religionslose” Zeit, in: Peter Burschel/ Anne Conrad, Hg., Vorbild, Inbild, Abbild. Religiöse Lebensmodelle in geschlechtergeschichtlicher Perspektive. Freiburg im Breisgau 2003, S. 151-170; JEREMY GREGORY, “Homo Religious”: Masculinity and Religion in the Long Eighteenth Century', in: Michèle Cohen, English Masculinities, 1660-1800, London 1999, S. 85-110; EDITH SAURER, Hg., Die Religion der Geschlechter. Historische Aspekte religiöser Mentalitäten. Wien 1995. |