Kommentar |
Mit dem Aufkommen von modernem Staat und Kapitalismus entstand sich verzögert die Wissenschaftsdisziplin der Soziologie, um die stattfindenden überwältigenden gesellschaftlichen Umwälzungen zu erklären. Dies betrifft bspw. solche komplexen und miteinander verknüpften Phänomene wie Lohnarbeit, Warenform und Kapitalverwertung, Individualisierung und Massengesellschaft, Urbanisierung, beschleunigte Mobilität, flexible Lebensgestaltung und mechanisierte Arbeitsabläufe. Darüber hinaus wird „Gesellschaft” spätestens seit der Französischen Revolution auf spezifische Weise als gestaltbar angesehen – was umgekehrt nicht ausschließt, dass auch andere / frühere Gesellschaftsformen von Menschen bewusst gestaltet wurden.
Somit wird plausibel, dass frühsozialistische Denker zugleich erste soziologische Theorien entwarfen. Parallel dazu differenzierte sich der Anarchismus neben der Sozialdemokratie und dem Parteikommunismus als Hauptströmung im Sozialismus aus. Seine Anhänger*innen gehen davon aus, dass gesellschaftliche Ordnung gegen den zentralisierten, autoritären und hierarchischen Staat hergestellt werden kann. Nur durch eine dezentrale, freiheitliche und egalitäre Selbstorganisation ließen sich Gesellschaftsformen verwirklichen, mit welchen sozialistische Werte und Anliegen verwirklicht werden könnten. Dies habe zur Voraussetzung, dass grundlegende Teilungen in der Gesellschaft (Antagonismen) überwunden und an ihrer Stelle neue soziale Strukturen und Beziehungen etabliert werden.
Um Vorschläge zu entwickeln, wie dies gelingen und aussehen kann, können u.a. auch soziologische Erkenntnisse hilfreich sein. Im Seminar werden wir uns einigen Schnittstellen von soziologischen Theorien und anarchistischem Denken widmen.
Das Seminar findet als zweiwöchentliche Doppelsitzung statt mit einzelnen Einstiegs-, Zwischen- und Abschlusssitzungen. Bitte nehmen Sie an der Einstiegssitzung teil, um zu entscheiden, ob Sie das Seminar belegen wollen. Falls Ihnen das nicht möglich ist, schreiben Sie mir im Vorfeld.
Die Termine sind: 25.10. 10-12 Uhr (online, Einstiegssitzung), 08.11. 10-14 Uhr, 22.11. 10-14 Uhr, 06.12. 10-14 Uhr, 13.12. 10-12 Uhr (online, Zwischenbetrachtung), 03.01. 10-14 Uhr, 17.01. 10-14 Uhr, 31.01. 10-14 Uhr, 07.02. 10-12 Uhr (online, Abschluss) |
Literatur |
Auszüge aus:
- Horkheimer, Max / Adorno Theodor W., Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente (1944), 24. Aufl., Frankfurt a.M. 2019. - Arendt, Hannah, Vita activa. Oder: Vom tätigen Leben (1958), 19. Aufl., München 2018. - Bourdieu, Pierre, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a.M. 1987. - Foucault, Michel, Überwachen und Strafen (1975), 19. Aufl., Frankfurt a.M. 2021. - Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, 2. Halbband, Köln/Berlin 1956.
-Kropotkin, Peter, Die Eroberung des Brotes und andere Schriften, München 1973. - Pouget, Émile, Das Syndikat (1904), in: Die Revolution ist Alltagssache. Schriften zur Theorie und Praxis des revolutionären Syndikalismus, Lich/Hessen 2014. - Goldman, Emma, Plädoyer für Minderheiten (1911), in: Dies., Anarchismus & andere Essays, Münster 2013. - Bookchin, Murray, Die Neugestaltung der Gesellschaft. Pfade in eine ökologische Zukunft, Grafenau 1992. - Graeber, David, Bürokratie: die Utopie der Regeln, Stuttgart 2016.a |