Kommentar |
Helmuth Plessners politische Philosophie vertritt ein Primat der Distanz. Nicht Nähe, Unmittelbarkeit und Authentizität bilden für ihn die Maßstäbe funktionierender sozialer Gebilde. Vielmehr ist es ein fragiles, immer der Möglichkeit des Scheiterns ausgesetztes Spiel mit Grenzen, Masken und Abstandsgeboten, das den Menschen in der Moderne einen humanen Verkehr mit- und untereinander ermöglicht. Mit Begriffen wie "Zeremoniell", "Prestige", "Diplomatie" und "Takt" beschreibt er ein Regelsystem, das den Einzelnen samt seines Inneren in eine Schutzschicht hüllt und Angriffe abhält, die ihn mit der Gefahr der Lächerlichkeit bedrohen. Gegen eschatologische Gemeinschafts-Idolatrien, wie sie zu Plessners Zeit in Formen des Sozialismus und Nationalismus zu Tage treten, wendet er ein Pathos der Gesellschaft, in der Kühle, Künstlichkeit und Anonymität das Verhalten regulieren. Es ist durchaus treffend, wenn Helmut Lethen diesen ungewöhnlichen Ansatz im politischen Denken des zwanzigsten Jahrhunderts als "Mantel- und Degenstück der neuen Sachlichkeit" bezeichnet.
Die beiden zentralen Bücher, in denen Plessner seine politische Theorie und Sozialphilosophie entfaltet, gehören in den Entstehungskontext seiner Philosophischen Anthropologie und stehen mit dieser in einem engen Korrespondenzverhältnis: "Die Grenzen der Gemeinschaft. Eine Kritik des sozialen Radikalismus" (1924) und "Macht und menschliche Natur. Ein Versuch zur Anthropologie der geschichtlichen Weltsicht" (1931). Im Seminar werden wir uns beiden Werken widmen und prägnante Auszüge im Close-reading-Verfahren erschließen. Zentral sollen dabei die Fragen geklärt werden, welche Rolle Plessners Philosophische Anthropologie für sein politisches Denken spielt, wie seine Theorien in den politisch-historischen Kontext der 1920er und 1930er Jahre einzuordnen sind und auch, welche Relevanz sie im heutigen politischen Denken beanspruchen können.
Das Seminar richtet sich sowohl an Studierende in der Studieneingangsphase als auch an Fortgeschrittene. Voraussetzung ist die Bereitschaft zur intensiven Lektüre und Diskussion sprachlich nicht ganz einfacher Texte. |
Literatur |
Helmuth Plessner: Die Grenzen der Gemeinschaft. Eine Kritik des sozialen Radikalismus, in: ders.: Macht und Menschliche Natur (= Gesammelte Schriften, Bd. 5), hrsg. v. Günter Dux, Odo Marquard u. Elisabeth Ströker, Frankfurt am Main 2003, S. 7–134.
Helmuth Plessner: Macht und menschliche Natur. Ein Versuch zur Anthropologie der geschichtlichen Weltsicht, in: ders.: Macht und Menschliche Natur (= Gesammelte Schriften, Bd. 5), hrsg. v. Günter Dux, Odo Marquard u. Elisabeth Ströker, Frankfurt am Main 2003, S. 135–234. |