Kommentar |
Die Gesellschaft in den alliierten Besatzungszonen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war eine transnationale Migrationsgesellschaft, in der Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter, befreite KZ-Häftlinge und deutsche Geflüchtete und Vertriebene aus den osteuropäischen Gebieten lebten. Und auch wenn das immer wieder gerne ignoriert oder gar bestritten wurde: Migration blieb in den Gesellschaften beider deutscher Staaten immer ein konstitutives Element. In den fünfziger und sechziger Jahren gelangten Millionen „Gastarbeiter“ in die Bundesrepublik, in den siebziger Jahren begann die DDR „ausländische Werktätige“ anzuwerben und immer kamen Asylsuchende oder flohen Menschen. Nach der Wende kamen nicht nur jüdische „Kontingentflüchtlinge“ und „deutschstämmige Spätaussiedler“ nach Deutschland; der Prozess der Vereinigung der beiden deutschen Staaten ging einher mit rassistischer Diskriminierung und Gewalt.
Das Seminar nähert sich dieser Migrationsgeschichte aus lokalgeschichtlicher Perspektive. Es nimmt transnationale Migration in und um Jena seit 1945 in den Blick und setzt sie in Beziehung zu Entwicklungen in beiden deutschen Staaten sowie zu globalen Migrationsbewegungen. Gefragt wird nach der agency und den Motiven von Migrant:innen, nach Partizipationsmöglichkeiten und Exklusionsmechanismen und nach Selbstverständigungsdiskursen in Migrationsgesellschaften. Dabei erhalten die Seminarteilnehmer:innen Gelegenheit, verschiedene Ansätze und Methoden wie beispielsweise Oral History, Geschlechtergeschichte oder postkoloniale Zugänge zu erproben. Der lokalgeschichtliche Zugang des Seminars erfüllt die Funktion, die Suche, Auswahl und Interpretation historischer Quellen einzuüben und auf diese Weise an die Praxis historischen Forschens heranzuführen.
Literatur: Jochen Oltmer, Migration. Geschichte und Zukunft der Gegenwart. Darmstadt 2017; Maria Alexopoulou, Deutschland und die Migration. Geschichte einer Einwanderungsgesellschaft wider Willen, Stuttgart 2020; Sylvia Hahn, Historische Migrationsforschung, Frankfurt a.M. 2012. |