Kommentar |
Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts prägte der britische Gelehrte Francis Galton den Begriff der Eugenik, um damit eine „Wissenschaft vom guten Erbe“ zu bezeichnen. Diese Lehre der „Höherzüchtung“ zielte darauf ab, die menschliche Fortpflanzung zu rationalisieren. Um die Notwendigkeit eines solchen Projekts zu unterstreichen, traten neben die Hoffnung einer gezielten Höherentwicklung allerlei Untergangs- und Katastrophenwarnungen vor einer kulturell bedingten „Degeneration“ der Gesellschaft. Diese Kulturkritik zielte nicht zuletzt auf die sich wandelnden Geschlechterverhältnisse: Frauen waren zunehmend erwerbstätig und das nicht nur in der Fabrikarbeit, sondern auch in akademischen Berufen. Eugenik, die im deutschsprachigen Raum meist als „Rassenhygiene“ bezeichnet wurde, bot nun eine neue Möglichkeit der geschlechterpolitischen Intervention: Biologische Erklärungsmuster wurden in den politischen Raum übertragen, um die Frauenemanzipation zu begrenzen. In dieser Logik glich die Gesellschaft einem Garten, in dem Menschen wie Unkraut „ausgejätet“ oder wie Nutzpflanzen „höhergezüchtet“ werden sollten. Die Menschen waren in erster Linie „Gattungswesen“ und sollte es sich zur Pflicht machen, gesund zu sein. Die Dichotomie aus Gesundheit und Krankheit ermöglichte es, das Verhalten von Frauen und Männern zu bewerten: So sollten Frauen ihre Gesundheit nicht durch Erwerbsarbeit und übermäßige Bildung gefährden; Männer sollten beispielsweise auf den Konsum von „Keimgiften“ wie Alkohol verzichten. Naturwissenschaft und Lebensanleitung verbanden sich zu einer säkularisierten Ersatzreligion, deren innerweltliches Erlösungsversprechen auf die „Unsterblichkeit des Keimplasmas“ zielte. Die Utopie einer durch gesteuerte Evolution herbeigezüchteten neuen Welt und eines neuen Menschen wurden in allen politischen Milieus populär. Je nach politischer Ausgangsprämisse gestaltete sich die Kulturkritik und die daraus zu ziehenden Konsequenzen jedoch anders. Wir werden uns im Seminar mit den verschiedenen Strömungen, von völkisch-germanophiler Rassenhygiene bis hin zur sozialistischen Eugenik, beschäftigen und uns die Frage nach deren Geschlechterpolitik stellen. In intersektionaler Perspektive werden wir dabei auch Überschneidungen zwischen Antisemitismus, Rassismus und Antifeminismus in den Blick nehmen.
Veranstaltungstermine (jeweils als Doppelsitzungen):
Block I: 22.04., 29.04.
Block II: 03.06., 10.06.
Block III: 24.06., 01.07., 08.07.
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