Kommentar |
Bachelor
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BA_VK 2, BA_VK 4 B
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Master
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MVK 4, MVK 2, MWVK
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Mündliche Überlieferung (engl. Folklore) wurde einmal als Familienangelegenheit bezeichnet. Man sprach von einem prinzipiellen „Familiarismus“ der Volkserzählungen, und der Däne Bengt Holbek prägte schließlich den Ausdruck „Familylore“. Dabei zeigen die einzelnen Gattungen grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen: Insbesondere Märchen – um die es hauptsächlich gehen soll – spiegeln Familienkonzepte bis in dramatische Details (Inzest, Brudermord, Giftanschläge). Andererseits werden bis heute auch „Familiengeschichten“ in familiären Kontexten tradiert, und eine „Familiensaga“ kann geradezu märchenhafte Formen annehmen.
Wir alle sind in Familien aufgewachsen. Und auch wenn wir sie als Heranwachsende verlassen, bleiben wir meistens weiterhin mit Verwandten in Verbindung. Das traditionelle Modell von Familie ist in der Gegenwart zwar in Veränderung begriffen und wird um neue Lebensformen erweitert. Doch das, was in der ‚Familie‘ erlebt wird (ob als Einzelkind oder unter Geschwistern), hat Auswirkungen auf unser ganzes Leben. Ist die Familie ein Auslaufmodell gegenüber anderen Lebensformen? Es sieht nicht danach aus; „Menschen in allen Kulturen“, so der Biologe und Neurowissenschaftler Robert Sapolsky, „scheinen bis heute von familiären Beziehungen geradezu besessen.“
Das Seminar wird Volkserzählungen aus aller Welt historisch-vergleichend vorstellen und archetypische familiäre Konstellationen und -konflikte zum diskursiven Gegenstand machen, wobei insbesondere die Geschwisterbeziehung, ein in der Märchenforschung bislang eher unterbelichtetes Thema, in den Fokus rücken soll. Auch in der bildenden Kunst ist das Verhältnis von Bruder und Schwester ein Thema, in der Forschung aber ebenfalls eine Art Blindfeld. Deshalb ist ein gemeinsamer Besuch einer entsprechenden Ausstellung in Tübingen geplant, welche Märchenillustrationen gilt.
Diese Veranstaltung wird einführenden Charakter haben. Das Seminar soll den Anstoß geben, Märchen als kulturellen Fundus zu verstehen und sie auch vor dem Hintergrund medialer Innovationen neu zu erkunden. |
Literatur |
Einführende Literatur: Lutz Röhrich: Erzählforschung, in: Rolf Wilhelm Brednich (Hrsg.): Grundriß der Volkskunde. Einführung in die Forschungsfelder der Europäischen Ethnologie, Berlin 1988, S. 353-379 und 519-538. Max Lüthi: Das europäische Volksmärchen. Form und Wesen, 11. Aufl., Tübingen/Basel 2005. Katalin Horn: Art. Familie, in: Enzyklopädie des Märchens 4 (1999), Sp. 814-833. Albrecht Lehmann: Art. Familien-geschichten, in: Enzyklopädie des Märchens 4 (1999), Sp. 834-836. Alfred Cammann: Art. Familientradition, in: Enzyklopädie des Märchens 4 (1999), Sp. 836-839. Wilhelm Solms: Die Familie in Grimms Märchen, Marburg 2021. |
Bemerkung |
Voraussetzung für den Erwerb von Leistungspunkten: Die Modulprüfung besteht in der Abfassung einer Hausarbeit. Für Masterstudierende ist ein Referat im Seminar verpflichtend. Erwartet werden die regelmäßige, aktive Teilnahme sowie die vorbereitende Lektüre der unten angegebenen Literatur.
Bemerkungen: Referate für das Modul „Fachspezifische Schlüsselqualifikationen FSQ“ im Bachelorstudiengang sind möglich. |