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Kulturwissenschaftliche Gedächtnis-Theorien und gesellschaftlicher Memory Boom - Einzelansicht

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Grunddaten
Veranstaltungsart Seminar Langtext
Veranstaltungsnummer 198917 Kurztext
Semester SS 2022 SWS 2
Teilnehmer 1. Platzvergabe 20 Max. Teilnehmer 2. Platzvergabe 24
Rhythmus keine Übernahme Studienjahr
Credits für IB und SPZ
E-Learning
Hyperlink
Sprache Deutsch
Belegungsfrist Zur Zeit keine Belegung möglich
Abmeldefristen
Nach Zulassung ist eine Abmeldung nur durch die Dozierenden möglich.

Nach Zulassung ist eine Abmeldung auch durch die Teilnehmenden möglich.

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Termine Gruppe: 0-Gruppe iCalendar Export für Outlook
  Tag Zeit Rhythmus Dauer Raum Lehrperson (Zuständigkeit) Status Bemerkung fällt aus am Max. Teilnehmer 2. Platzvergabe
Einzeltermine ausblenden Di. 12:00 bis 14:00 w. 12.04.2022 bis
12.07.2022
Fürstengraben 1 - SR 141 Herold-Schmidt, Hedwig Dr. phil. ( verantwortlich ) findet statt  
Einzeltermine:
  • 12.04.2022
  • 19.04.2022
  • 26.04.2022
  • 03.05.2022
  • 10.05.2022
  • 17.05.2022
  • 24.05.2022
  • 31.05.2022
  • 07.06.2022
  • 14.06.2022
  • 21.06.2022
  • 28.06.2022
  • 05.07.2022
  • 12.07.2022
Gruppe 0-Gruppe:



Zugeordnete Person
Zugeordnete Person Zuständigkeit
Herold-Schmidt, Hedwig , Dr. phil. verantwortlich
Zuordnung zu Einrichtungen
Seminar für Volkskunde und Kulturgeschichte
Inhalt
Kommentar

 

Bachelor

BA_KG 2 A, BA_KG 4 A

Master

MKG 3 A, MKG 4 A, MWKG

Seit den 1980er Jahren, verstärkt aber nach dem Zusammenbruch der Blöcke mit dem Ende des Kalten Krieges, ist ein intensiviertes Interesse an Identitätsstiftung aus der Geschichte, an Orientierung an der Vergangenheit zu beobachten. Damit setzte ein ausgeprägter memory boom ein. Erinnerung und Gedächtnis sind seitdem zu einem zentralen Gegenstand kulturgeschichtlicher Forschung, ja sie sind vor dem Hintergrund des cultural turn zu neuen Leitbegriffen der Kulturwissenschaften insgesamt geworden. Diese Hinwendung zur Identitätsstiftung aus der Geschichte zeigt, dass das utopische Potential der Moderne an Anziehungskraft verloren hatte. Der Vergangenheit kommt seitdem eine zentrale Rolle für gesellschaftliche Selbstdarstellung und Selbstvergewisserung zu.

Dabei ging es aber nicht mehr nur allein um ein positives Selbstbild, das mit Stolz auf die eigene Kultur und Geschichte blickt, sondern auch und vor allem um die dunklen Punkte der Vergangenheit. Ein veränderter Blick auf etablierte Erinnerungskulturen und Nachkriegsmythen stellt dabei die Opfer in den Mittelpunkt; aus den zuvor eminent national geprägten Erinnerungsgemeinschaften wurde durch die Holocaust-Erinnerung in Teilen so etwas wie eine transnationale, universalistische Erinnerungsgemeinschaft. Dagegen zeigt sich gleichzeitig eine Spaltung der Erinnerung in Ost und West entlang der ehemaligen Grenze der Blöcke, wobei im Osten eine Konzentration auf Nationalismus, Opfernarrative und sowjetrussische Verbrechen zu beobachten ist. Demgegenüber steht im Westen der Holocaust als „negativer Gründungsmythos Europas“ (Ulrike Ackermann) im Zentrum. Vor dem Hintergrund der Legitimationsproblematik der Europäischen Union und einem oft diagnostizierten Geschichts-, Mythen- und Symboldefizit derselben wird intensiv über ein europäisches kollektives Gedächtnis bzw. über europäische „Erinnerungsorte“ diskutiert.

Gerade die deutsche Erinnerungskultur ist in letzter Zeit stark in die Kritik und unter Druck geraten. So wird etwa zum Teil sehr polemisch argumentiert, dass die – ritualisierte, reflexhafte, inhaltsleere!? – Erinnerung an die Opfer des Holocausts und des Krieges vor allem der Selbstentlastung der Deutschen diene. Anthony Dirk Moses spricht gar vor einer Instrumentalisierung, um andere historische Verbrechen, etwa des Kolonialismus, zu überdecken. Das in diesem Sommer erschienene Buch von Per Leo argumentiert in Teilen ähnlich und plädiert für eine neue deutsche Erinnerungskultur, die etwa auch dem migrantischen Hintergrund vieler Deutscher Rechnung trägt. Aber auch anderswo sind Gedächtnis und Erinnerung umkämpfte Angelegenheiten: In Russland steht aktuell die NGO Memorial vor Gericht, nicht zuletzt deshalb, weil sie die erinnerungskulturellen Monopolansprüche der Regierung Putin bedroht.

Diese Veränderungen der Erinnerungskulturen fielen zeitlich zusammen mit einer intensiven Beschäftigung mit Erinnerung und Gedächtnis in der neuen Kulturgeschichte und anderen Kulturwissenschaften. Bereits in den 1920er Jahren hatte Maurice Halbwachs geschrieben – und nun wurde er wiederentdeckt –, dass sich Gesellschaften bzw. Kulturen von ihrer jeweiligen Gegenwart aus immer wieder neu mit ihrer Vergangenheit in Beziehung setzen: Er nannte dies das kollektive Gedächtnis. Was dabei als wichtig und was als unwichtig gilt, das bestimmen jeweils Gruppen, die in einer Gesellschaft die Deutungsmacht über die Geschichte haben, die bestimmen, wie Geschichte geschrieben und durch Medien unterschiedlicher Art in der Öffentlichkeit vermittelt wird. In pluralistischen Gemeinwesen ist diese Deutungsmacht stets umkämpft und dort müssen immer wieder aufs Neue Erinnerungskonflikte gelöst, muss Konsens ausgehandelt werden.

Umstritten ist gesellschaftliche Erinnerung deshalb, weil das kollektive Gedächtnis in enger Verbindung mit Identität(en) steht: Das kollektive Gedächtnis zieht eine deutliche Grenze zwischen dem Wir und den Anderen. Bei diesem Zusammenhang zwischen Identität und Gedächtnis setzen auch die beiden wichtigsten neueren kulturwissenschaftlichen Gedächtnistheorien an, die das Halbwachs’sche Konzept vom kollektiven Gedächtnis weiterdenken, nämlich Pierre Noras „Gedächtnisorte“ und Jan und Aleida Assmanns umfassende Gedächtnistheorie. Noras Gedächtnisorte sind „Orte – in allen Bedeutungen des Wortes – […], in denen sich das Gedächtnis der Nation […] in besonderem Maße kondensiert, verkörpert oder kristallisiert hat“. Jan und Aleida Assmann stellen hingegen vor allem die Frage nach der Tradierung kollektiven Wissens in den Mittelpunkt, nach dem sog. „kulturellen Gedächtnis“, das sie ins Verhältnis zum „kommunikativen Gedächtnis“ setzen, womit die Weitergabe von Wissen über die Vergangenheit in der Alltagskommunikation in einem zeitlichen Rahmen von etwa 80 Jahren gemeint ist.

In diesem Seminar wollen wir einerseits die skizzierten gesellschaftlichen Entwicklungen und Debatten auf dem Feld der Erinnerungskulturen verfolgen. Andererseits werden wir die Ansätze wichtiger kulturwissenschaftlicher Gedächtnistheorien des 20. Jahrhunderts anhand gemeinsamer Lektüre von Schlüsseltexten kennenlernen und ihre Möglichkeiten und Grenzen diskutieren. Dabei wird die Diktatur- und Gewalterinnerung im 20. und 21. Jahrhundert im Mittelpunkt stehen.

Literatur

Einführende Literatur: Astrid Erll: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen: Eine Einführung, 2. akt. u. erw. Aufl., Stuttgart 2011. Christian Gudehus u. a. (Hrsg.): Gedächtnis und Erinnerung: Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart u.a. 2010. Nicolas Pethes: Kulturwissenschaftliche Gedächtnistheorien zur Einführung, Hamburg 2008. Nicolas Pethes/Jens Ruchatz (Hrsg.): Gedächtnis und Erinnerung. Ein interdisziplinäres Lexikon, Reinbek bei Hamburg 2001. Astrid Erll/Ansgar Nüning/Sara B. Young: A Companion to Cultural Memory Studies, Berlin 2010. Maurice Halbwachs: Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen, Frankfurt am Main 1985. Gerald Echterhoff/Martin Saar (Hrsg.): Kontexte und Kulturen des Erinnerns: Maurice Halbwachs und das Paradigma des kollektiven Gedächtnisses, Konstanz 2002. Pierre Nora (Hrsg.): Les lieux de mémoire, 7 Bde., Paris 1984-1992. Pierre Nora (Hrsg.): Zwischen Geschichte und Gedächtnis, Frankfurt am Main 2001. Hagen Schulze/Etienne François (Hrsg.): Deutsche Erinnerungsorte, 3 Bde., München 2001. Tilmann Robbe: Historische Forschung und Geschichtsvermittlung: Erinnerungsorte in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft, Göttingen 2009. Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis: Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, 2. Aufl., München 1997. Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, in: Erwägen, Wissen, Ethik 13 (2002), S. 239-247, 273-278. Jan Assmann: Gedächtnis/Erinnerung, in: Helmut Reinalter/Peter J. Brenner (Hrsg.): Lexikon der Geisteswissenschaften: Sachbegriffe – Disziplinen – Personen, Wien 2011, S. 233–38. Jan Assmann: Kollektives und kulturelles Gedächtnis. Zur Phänomenologie und Funktion von Gegen-Erinnerung, in: Ulrich Borsdorf/Heinrich Theodor Grütter (Hrsg.): Orte der Erinnerung: Denkmal, Gedenkstätte, Museum, Frankfurt am Main, 1999, S. 13–32. Aleida Assmann: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, 3. Aufl., München 2006. Aleida Assmann: Geschichte im Gedächtnis: Von der individuellen Erfahrung zur öffentlichen Inszenierung, München 2014. Aleida Assmann/Sebastian Conrad (Hrsg.): Memory in a Global Age: Discourses, Practices and Trajectories, Houndsmills u. a. 2010. Harald Welzer (Hrsg.): Das soziale Gedächtnis: Geschichte, Erinnerung, Tradierung, Hamburg 2001. Harald Welzer: Das kommunikative Gedächtnis: Eine Theorie der Erinnerung, München 2005. Lilljana Radonic/Heidemarie Uhl (Hrsg.): Gedächtnis im 21. Jahrhundert. Zur Neuverhandlung eines kulturwissenschaftlichen Leitbegriffs, Bielefeld 2016. Arnd Bauerkämper: Das umstrittene Gedächtnis. Die Erinnerung an Nationalsozialismus, Faschismus und Krieg in Europa seit 1945, Paderborn u. a. 2012. Wolfgang Assmann/Albrecht von Kalnein (Hrsg.): Erinnerung und Gesellschaft: Formen der Aufarbeitung von Diktaturen in Europa, Berlin 2011. Aleida Assmann/Ute Frevert: Geschichtsvergessenheit – Geschichtsversessenheit: Vom Umgang mit deutschen Vergangenheiten nach 1945, Stuttgart 1999. Malgorzata Pakier/Bo Stråth (Hrsg.): A European Memory? Contested Histories and Politics of Remembrance, New York 2010. Wolfgang Stephan Kissel/Ulrike Liebert (Hrsg.): Perspektiven einer europäischen Erinnerungsgemeinschaft: Nationale Narrative und transnationale Dynamiken seit 1989, Berlin 2010. Anthony Dirk Moses: The Problems of Genocide. Permanent Security and the Language of Transgression, Cambridge 2021. Per Leo: Tränen ohne Trauer. Nach der Erinnerungskultur, Stuttgart 2021. Michael Rothberg: Multidirektionale Erinnerung. Holocaustgedenken im Zeitalter der Dekolonisierung. Berlin 2021 (Org. 2009). Themenheft: Aus Politik und Zeitgeschichte 17/40-41 (2021): Geschichte und Erinnerung, www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/geschichte-und-erinnerung/.

Bemerkung

Voraussetzung für den Erwerb von Leistungspunkten: Die Modulprüfung besteht in einer Klausur. Erwartet wird die regelmäßige, aktive Teilnahme.

Bemerkungen: Zur Modulergänzung ist eines der thematisch zugehörigen Seminare (Erster Weltkrieg, Jubiläen und Gedenktage oder Straßennamen) zu wählen.

Strukturbaum
Keine Einordnung ins Vorlesungsverzeichnis vorhanden. Veranstaltung ist aus dem Semester SS 2022 , Aktuelles Semester: SoSe 2024

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