Kommentar |
In den internationalen Debatten um die Ausweitung von Monokulturen, Bergbau oder Gentrifizierungsprozessen in Städten ist oftmals von einer (neuen) „Frontier“ (spanisch: frontera; portugiesisch: fronteira) die Rede. Der Begriff kann nicht ins Deutsche übersetzt werden, da damit keine „Grenze“ im Sinne einer Demarkationslinie, sondern vielmehr ein (mehr oder weniger umkämpfter) geografischer, sozial-ökologischer oder politischer Raum des Übergangs beschrieben wird.
Geprägt wurde der Frontier-Begriff zu Beginn des 20. Jahrhunderts von dem US-Historiker Frederick Jackson Turner, der damit den Westen der USA als dynamischen Raum konstruierte, in dem „Zivilisation“ und „Wildnis“ aufeinandertrafen und damit die spezifische (weiße, männliche) amerikanische Identität und Demokratie hervorbrachte. Diese problematische dualistische Konzeption der Frontier wird heute nicht mehr wissenschaftlich vertreten, doch wirkt sie nach wie vor weltweit fort.
In Abgrenzung davon entstanden in den Forschungsfeldern der Agrarsoziologie, politischen Ökologie und decolonial studies zahlreiche Ansätze, die die Frontier zur Untersuchung von kapitalistischen Einhegungs- und Enteignungsprozessen, gewalttätigen Kontaktzonen oder Ressourcenkonflikten weiterdenken. Im Seminar werden wir uns ausgehend von einer Auseinandersetzung mit Turner vertieft mit verschiedenen gesellschaftskritischen Ansätzen zur Frontier – von Nancy Peluso und Christian Lund über Gloria Anzaldúa bis zu Jason Moore – beschäftigen. Ziel des Seminars ist es, für die Komplexität des Frontier-Begriffs zu sensibilisieren, über den Begriff in die genannten Debattenfelder einzuführen sowie die Grenzen, Ambivalenzen und Möglichkeiten der Frontier als analytisches Konzept in der Umweltsoziologie zu diskutieren. |