Kommentar |
Eingangssitzung am Di, 19.10.2021 von 16-18 Uhr.
In der Eingangssitzung werden die Themen und die Blocktermine bekanntgegeben.
„Was ‚Alltagsgeschichte‘ sei, wem sie nütze – dies ist nicht nur unter Geschichtsforschern und -forscherinnen umstritten. […] Nicht nur die Sache ist kontrovers; auch der Name stößt auf Kritik. In der Tat ist die Bezeichnung in manchem eine Verlegenheitslösung. Dennoch – sie taugt als Kurzformel. Polemisch wendet sie sich gegen eine Geschichtsschreibung, die den ‚Alltag‘ weithin ignoriert hat. Bei einer ersten Annäherung zeigt sich: Im Mittelpunkt alltagsgeschichtlicher Forschungen und Darstellungen stehen Handeln und Leiden derer, die häufig als ‚kleine Leute‘ ebenso vielsagend wie ungenau etikettiert werden. Es geht um ihr Arbeiten und Nicht-Arbeiten. Geschildert werden Wohnen und Wohnungslosigkeit, Kleidung und Nacktheit, Essen und Hungern. Das Interesse gilt dem Lieben und Hassen, dem Streiten und Kooperieren, den Erinnerungen, Ängsten und Zukunftserwartungen. Bei Alltagsgeschichte richtet sich die Aufmerksamkeit nicht mehr nur auf die Taten (und Untaten), auf das Gepränge der ‚Großen‘, d.h. der weltlichen oder kirchlichen Herren. Wichtig werden vielmehr Leben und Über-Leben der in der Überlieferung weithin Namenlosen, bei täglicher Mühsal wie bei gelegentlicher ‚Verausgabung‘.“ Mit diesen Sätzen schildert Alf Lüdtke in seiner Einleitung „Was ist und wer treibt Alltagsgeschichte?“ aus dem Jahre 1989 den spezifischen Zugang zur Geschichte, der als Alltagsgeschichte weit über Deutschland hinaus bekannt geworden und als fester Bestandteil in den methodisch-theoretischen Kanon der Geschichtswissenschaft eingegangen ist.
In diesem Seminar, bei dem teilweise Ko-Autor Thomas Lindenberger (Hannah-Arendt-Institut Dresden) sowie andere langjährige Wegbegleiter Alf Lüdtkes und Teilnehmer und Teilnehmerinnen des ehemaligen Kolloquiums von Alf Lüdtke anwesend sein werden, wollen wir zunächst wieder zentrale programmatische Texte zur Alltagsgeschichte diskutieren und ausgewählte Texte zu wichtigen Forschungsbereichen der Alltagsgeschichte besprechen. Überdies werden laufende Forschungsprojekte präsentiert, in denen die Alltagsgeschichte als methodisch-theoretischer Ansatz verwandt wird oder in denen sie Gegenstand historiographischer und geschichtstheoretischer Überlegungen ist. Inwieweit ist die Alltagsgeschichte als Perspektive historischen Arbeitens noch aktuell und zukunftsträchtig? Dies wird eine der übergreifenden Fragestellungen in der Veranstaltung sein.
Einführungsliteratur: Alf Lüdtke, Alltagsgeschichte, in: Stefan Jordan (Hrsg.), Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Begriffe, Stuttgart: Philipp Reclam jun. 2002, S. 21-24. Alf Lüdtke: Alltagsgeschichte, Mikro-Historie, historische Anthropologie, in: Hans-Jürgen Goertz (Hrsg.), Geschichte. Ein Grundkurs, Hamburg: Rowohlt 1998, S. 557-578. |