Kommentar |
„Der Sozialismus ist im Recht, sofern er im Idealismus der Ethik begründet ist“ schreibt Hermann Cohen 1896. Wie andere Autoren des Neukantianismus versucht er, die Kantische Ethik nicht nur auf einzelne Handlungen anzuwenden, sondern auch für die Beurteilung gesellschaftlicher Verhältnisse und für die Begründung eines „ethischen Sozialismus“ fruchtbar zu machen. Auch innerhab der Arbeiter*innenbewegung und der Sozialdemokratie gibt es in dieser Zeit Versuche, die eigenen Zielvorstellungen und Reformbestrebungen mit der Berufung auf Kant zu begründen. Auf beiden Ebenen ist dieses Projekt umstritten: Von Seiten der akademischen Philosophie wird den Neukantianern einer unzulässige Politisierung philosophischer Überlegungen und Traditionen vorgeworfen. Innerhalb der Arbeiter*innenbewegungen werden sie als „Revisionisten“ kritisiert, die eine materialistische Geschichtsauffassung und bisherige revolutionäre Zievorstellungen aufgegeben haben. Insofern lassen sich an der Ethik des Neukantianismus bis heute aktuelle Fragen nach dem Verhältnis von Ethik und kritischer Gesellschaftstheorie diskutieren.
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