Kommentar |
Um 1900 entwickelte sich die Rede von der „neuen Frau” zum geflügelten Wort. Zugleich implizierte die Erwartung einer modernisierten Frauenrolle die Frage, ob die „neue” oder die „alte” Frau dem „Mann der Zukunft” gefallen würde. Zukunftsvorstellungen bezogen sich auf das Verhältnis der Geschlechter, das zu einer Projektionsfläche von Erwartungen und Ängsten wurde. Im Seminar wollen wir uns diese Zukunftsvorstellungen quellennah erschließen. Dabei stellt sich die Frage, auf welche Gesellschaftsprobleme diese Vorstellungen reagierten, zu welchen Lösungen sie führen sollten und welche Widerstände sie provozierten. Als methodologische Grundlage dient die historische Zukunftsforschung, mit deren Theorie und Praxis wir uns in Verbindung mit geschlechtergeschichtlichen Prämissen beschäftigen werden.
Wie der Frühsozialist Charles Fourier bemerkte, seien die Fortschritte in der Frauenbefreiung ein Gradmesser für allgemeinen sozialen Fortschritt. Die Begriffe des Fortschrittes und der Emanzipation besitzen jedoch selbst einen erheblichen Deutungsspielraum. Was als „fortschrittlich” oder als „emanzipiert” gilt, bemisst sich nach den Wertvorstellungen einer wünschbaren oder bestenfalls erwartbaren Zukunft. Zukunftsvorstellungen schwanken damit zwischen prognostizierter Realität und normativer Fiktion. Doch auch wenn sie lediglich Fiktion bleiben, sich als falsche Prognosen oder utopische Ideale herausstellen sollten, haben sie das menschliche Handeln der Vergangenheit geprägt. Aus diesem Grund gehört die Kategorie „Zukunft” in den Methodenkasten der Geschichtswissenschaft.
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