Kommentar |
Bachelor
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BA_VK 3 A, BA_VK 4 A
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Master
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MVK 1 B
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Was tun wir beim Nichtstun? Zu den zermürbenden Erfahrungen der Corona-Pandemie zählten unfreiwillige Formen des Nichtstuns – geschlossene Geschäfte und Wirtshäuser, Kurzarbeit, Kunstschaffende ohne Auftrittsmöglichkeiten… Im Zustand des Wartens erschien die Herausforderung, undefinierte Zeit auszufüllen, nicht als Geschenk, sondern als Bedrohung. Gleichzeitigkeit wurde in Videos der Bundesregierung Untätigkeit ironisch zum Heldentum erhoben – in der Logik der Epidemie-Bekämpfung war jenes Nichtstun, das in obsessiv optimierten Leistungsgesellschaften mit ihren Werten Fleiß, Disziplin, Produktivität ansonsten verdächtig subversiv erscheint, Segen und Waffe zugleich. Und auch noch Dienst an der Gemeinschaft: Wer nichts tut, steckt niemand an…
Nicht erst im Zeitalter hypermoderner Beschleunigung und Selbstoptimierung waren die Freuden des Nichtstuns zusehends in Verruf geraten. Was tun wir beim Nichtstun? Die Antworten fallen unterschiedlich aus, wenn es sich um unfreiwillige Formen (Langeweile, Warten, Zeit totschlagen, Gefängnis, Klinik, Asyl…) oder eben freiwillige und deshalb schöpferische handelt – Pause machen, Feierabend, Chillen, Abhängen, Faulenzen, Muße und Müßiggang, Aus-Zeiten nehmen, Tagträumen… In einem Zeitalter, in dem es in vielen Lebensbereichen aufgrund des Primats eines ökonomistischen Effizienzdenkens nicht nur zu einer gefühlten Beschleunigung kommt und in der Produktivität in Permanenz verlangt wird, scheint süßes Nichtstun die beste Antwort.
Allerdings: „Nichtstun ist die allerschwierigste Beschäftigung und zugleich diejenige, die am meisten Geist voraussetzt.” (Oscar Wilde) Die Vorlesung widmet sich auf der Grundlage kulturwissenschaftlicher Zeit-Theorien dem Erfahren und Erleben des Nichtstuns zwischen Glück und Unglück. Aufgezeigt wird, wie sich die Formen des Nichtstuns und die gesellschaftliche Haltung dazu in verschiedenen kulturellen Kontexten entwickeln und wie individuelles Erleben kulturell geformt und gerahmt wird. Die Vorlesung nimmt unterschiedliche Formen in ihrer historischen Gewordenheit und in ihrer Aktualität in den Blick und befragt sie auf ihre Sinnhaftigkeit und Bedeutungspotenziale: Arbeitslosigkeit, Gammeln als Provokation und gesellschaftlicher Protest, Wonnen und Austreibung der Faulheit durch die protestantische Ethik und den Geist des Kapitalismus, das demonstrative Nichtstun als gesellschaftliches Privileg und soziale Distinktionsarbeit, Langeweile, Schlaf, Kontemplation, Sonntag oder Sabbat, die Paradoxien des Wartens, Erwarten, Melancholie und Einsamkeit, Dolcefarniente – Nichtstun zwischen erfülltem Tun, Freiheit und Verzweiflung. |
Literatur |
Einführende Literatur: Billy Ehn/Orvar Löfgren: Nichtstun. Eine Kulturanalyse des Ereignislosen und Flüchtigen, Hamburg 2012. Klara Löffler et al. (Hrsg.): Nichtstun. Vom Flanieren, pausieren, blaumachen und müßiggehen. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Österr. Museum für Volkskunde, Wien 2000. Gabriela Muri: Pause! Zeitordnung und Auszeiten aus alltagskultureller Sicht, Frankfurt a. M. 2004. |