Kommentar |
Wer internationale Politik verstehen will, muss immer wieder auf psychologische Konzepte und Erklärungen zurückgreifen. Denn Politik wird von Menschen gemacht, deren Kognitionen und Emotionen ihre Informationsverarbeitung und Präferenzbildung beeinflusst. Staats- und Regierungschefs, aber genauso Minister, Diplomaten oder NGO-Vertreter bringen ihre eigenen Prädispositionen ein, etwa Perzeptionen, Images und Gefühlslagen wie Vertrauen, Unsicherheit oder Angst, wenn sie Entscheidungen treffen, vorbereiten oder darauf Einfluss zu nehmen versuchen. Politiker wirken zudem in Kleingruppen zusammen, und in diesen Gruppen entfalten sich eigene psychologische Dynamiken und Effekte, welche die Meinungsbildung beeinflussen – etwa das Gruppendenken, das kritisches Denken einschränkt und Homogenität fördert. Und dann gibt es noch die Großgruppen, etwa Gesellschaften, Ethnien oder Terrorgruppen, in denen sich massenpsychologische Prozesse entfalten, die ebenso friedensfördernde wie zerstörerische Kraft entfalten können – man denke etwa an die Selbstmordattentäter von 9/11 oder den anschließenden „War on Terror“ in den USA.
Welche kognitiven und emotionalen Faktoren beeinflussen internationale Politik? Wie können uns die Kognitions- und die Sozialpsychologie dabei helfen, diese zu verstehen? Und wie wirken sie mit anderen Kausalfaktoren zusammen, die jenseits der Erklärungsangebote der Psychologie liegen? Mit der politischen Psychologie hat sich ein Forschungszweig herausgebildet, der diesen Fragen nachgeht. Hier wirken Politikwissenschaftler und Psychologen fruchtbar zusammen. Wir wählen ein Standardwerk aus, das wir kapitelweise lesen. Es ist inzwischen in dritter Auflage erschienen und arbeitet den Forschungsstand gut auf: das Buch von Cottam et al. (2016), Introduction to Political Psychology. Wir werden uns in den ersten Sitzungen zunächst gemeinsam anhand der dortigen Kapitel einarbeiten in die politische Psychologie von Individuen und Gruppen, um danach v.a. folgende Themen zu erfassen, denen im Buch einzelne Kapitel gewidmet sind: psychologische Faktoren zur Erklärung von Konflikten, von Nationalismus, von Genozid, Terrorismus und Versöhnungsprozessen in Postkonfliktgesellschaften. Das Seminar erabeitet zu jedem dieser Themen den Forschungsstand und diskutiert ein Fallbeispiel. |
Literatur |
- Cottam, Martha L. et al. (2016), Introduction to Political Psychology, 3. Aufl., New York.
- Hudson, Valerie M. (2007), Foreign Policy Analysis. Classic and Contemporary Theory, Lanham, Maryland 2007, S. 37-102 (Kap. The Individual Decisionmaker und Group Decisionmaking).
- Levy, Jack S. (2013), Psychology and Foreign Policy Decision-Making, in: Huddy, Leonie et al. (Hrsg.), The Oxford Handbook of Political Psychology, 2. Aufl., Oxford, S. 301-333.
- Stein, Janice Gross (2002), Psychological Explanations of Conflict, in: Carlsnaes, Walter / Risse, Thomas / Simmons, Beth A. (Hrsg.), Handbook of International Relations, London /Thousand Oaks / New Dehli, S. 292-308.
- Tetlock, Philip E. (1998), Social Psychology and World Politics, in: Gilbert, Daniel T./ Fiske, Susan T./ Lindzey, Gardner (Hrsg.), The Handbook of Social Psychology, 4. Aufl., New York, S. 868-912.
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Voraussetzungen |
Das Seminar wird online in Live-Sitzungen (Zoom) stattfinden. Soweit möglich, werden wir im Verlauf des Semesters in Präsenzveranstaltungen übergehen. Die Teilnehmerzahl ist auf 20 begrenzt. Im ersten Teil des Seminars wird eine gründliche Lektüre der Vorbereitungstexte erwartet, die wir gemeinsam besprechen, im zweiten Teil ein Referat, das entweder den Forschungsstand zum Thema vorstellt oder ein konkretes, selbst gewähltes Fallbeispiel. So üben wir zugleich auch die Erarbeitung von Forschungsständen mit Blick auf die Examensarbeit. Im Nachgang zum Seminar schreiben Sie eine Hausarbeit. |