Kommentar |
„O meine Freunde, es gibt keinen Freund!“ – mit diesen Worten eröffnet Derrida eine jede Sitzung eines Seminars, das er im Wintersemester 1988/89 zur „Politik der Freundschaft“ gibt. Die Zitation des Zitats – das über Montaigne zu Aristoteles zurückführt; bis zu Nietzsche und über diesen hinaus fortwirkt –, soll, so Derrida, daran erinnern, dass wir es zunächst mit einem bestimmten Gebrauch des Wortes ‚Freundschaft’ zu tun haben, noch bevor wir überhaupt wissen, was Freundschaft sei oder ob es sie gibt, die Freunde und wenn ja, wer und zu wievielen sie sind, welcher Herkunft, welchen Geschlechts usw.
Am Ausdruck und Begriff der Freundschaft möchte das Seminar in die philosophische Denk- und Frage-weise Derridas einführen und, in dekonstruktiv-kritischer Lektüre des Freundschaftsbegriffs – von Aristoteles über Montaigne, Kant, Nietzsche und Carl Schmitt – verdeckte oder unbefragte Momente in der philosophischen Begriffsbildung aufzudecken und sie in ihren Wirkungen zu analysieren. Was eine solche Verfahrensweise explizit zu machen sucht, sind zum einen Mechanismen des Ausschlusses; zum anderen Instabilitäten, gleichsam Risse innerhalb der Begriffsbildung, denen die Chance einer Öffnung einwohnt, Freundschaft neu und anders zu denken – in Richtung einer politischen Freundschaft, die dem und der anderen – ohne die Beziehung aufzugeben – die Distanz lässt, jeweils in ihrer Singularität als andere zu erscheinen.
Die neben der Freundschaft wichtigsten Ausdrücke des Textes sind das ‚Vielleicht’, das ‚Ereignis’ und die ‚Verantwortung’; Verantwortung als ein antwortendes Sprechen, dessen Modus – vielleicht – ein freundschaftlicher ist.
Der Primärtext des Seminars ist Derridas „Politik der Freundschaft“ (im frz. Org. 1994 erschienen), von dem aus- und zu ihm immer wieder zurückkehrend Ausflüge in kleinere Auszüge derjenigen Texte unternommen werden, die Derrida einer kritischen Relektüre unterzieht. Das Seminar richtet sich an fortgeschrittene Studierende, setzt aber keine Vorkenntnisse voraus außer der Bereitschaft, sich auf ein ‚ereignishaftes Lesen’ einzulassen, auf eine vielleicht unvertraute Weise, philosophisch zu denken/ zu schreiben, die Bereitschaft auch, wieder- und weiterzulesen und in regelmäßiger und durch die Lektüre gut vorbereiteter Weise sich am Seminargespräch zu beteiligen.Vielleicht ist das Seminar vor allem dies: Raum und Gelegenheit, miteinander zu sprechen, Fragen an die anderen, an den Text zu formulieren.
Das Seminar setzt sich aus Einzel- und (nach Möglichkeit: präsentischen) Blockterminen zusammen: Es beginnt online (via Zoom) am 30.04.2021, 12-14 Uhr. Die erste Blocksitzung wird am 27./28.5. stattfinden; weitere Informationen werden in der ersten Sitzung bekanntgegeben.
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