Kommentar |
Die Malerei des Rokoko wird heute oft als veraltete, extravagante oder auch frivole Kunstform wahrgenommen. So scheinen die für die Epoche typischen ›leichten‹ Themen wie z.B. galant-erotische Annäherungen, verzauberte Inseln und Gärten, gesellige Ausflüge im Freien, exotische Verkleidungsspiele, opulente kulinarische Genüsse oder die ostentative Zurschaustellung von eleganter Mode und betörenden Schönheitsritualen eher von einer verklärten Vergangenheit zu erzählen als zu den Herausforderungen einer modernen ›entzauberten‹ Welt zu passen. Umgekehrt verweisen formal-ästhetische Eigenschaften wie die zarte Farbgebung, der sinnlich-pastose Pinselstrich, die skizzenhafte Darstellungsweise oder der Pastiche-Charakter des Rokoko durchaus auf spätere künstlerische Stile wie etwa die Freiluftmalerei, den Impressionismus oder auch die Postmoderne.
Als eine Spätphase des Barock oder ein Übergangsphänomen auf dem Weg zur Aufklärung verstanden wird das Rokoko auch in der Kunstgeschichte meist nur knapp behandelt oder als mit der Gestaltung dekorativer Raumausstattungen, Lustschlösser und kunsthandwerklicher Artefakte befasstes Randphänomen behandelt. Dass künstlerische Werke von französischen Rokokomalern wie Antoine Watteau, François Boucher oder Jean-Honoré Fragonard jedoch bereits von ihren Zeitgenossen als besonders ›modern‹ wahrgenommen wurden, mag daher ebenso überraschen wie die Tatsache, dass sich zahlreiche nachfolgende Kunstschaffende in der Moderne und Gegenwart gerade von deren Werken inspirieren haben lassen.
Im Seminar vergleichen wir anhand systematischer Gegenüberstellungen Werke verschiedener Rokoko-Vertreter aus dem 18. Jahrhundert mit ihren vielfältigen Reprisen in der Malerei, Fotografie, Zeichnung, Skulptur, Film und Installationskunst des 19., 20. und 21. Jahrhunderts (z. B. Adolf Menzel, Nadar, Jean Louis Ernest Meissonier, Adolphe Monticelli, Édouard Manet, Auguste Renoir, Berthe Morisot, Pascal-Adolphe-Jean Dagnan-Bouveret, Auguste Rodin, Sol LeWitt, Lucian Freud, Jean-Luc Godard, Doris Ziegler, Sofia Coppola, Yinka Shonibare). Dabei fragen wir nach den Kontinuitäten mit und Brüchen zu den historischen Vorbildern im Hinblick auf Stilistika, künstlerische Arbeitsprozesse, Motivkreise und Deutungsmöglichkeiten. Nicht zuletzt soll nach dem Gründen für die in unterschiedlichen Kontexten erfolgende Rezeption von dem Rokoko zugeschriebenen Eigenschaften wie Heiterkeit, Momenthaftigkeit oder die Vermischung von Wirklichkeit und Schein gefragt werden. |
Literatur |
- Bauer, Hermann/ Sedlmayr, Hans: Rokoko. Struktur und Wesen einer europäischen Epoche, Köln 1992
- Dumas, Ann (Hg.): Inspiring Impressionism. The Impressionists and the Art of the Past, Ausst.-Kat. Denver Art Museum, New Haven/London 2007
- Duncan, Carol: The pursuit of pleasure. The Rococo Revival in French Romantic Art, New York 1976
- Hyde, Melissa Lee/ Scott, Katie (Hg.): Rococo Echo. Art, History and Historiography from Cochin to Coppola, Oxford 2014
- Oster, Angela (Hg.): Das ›andere‹ 18. Jahrhundert. Komparatistische Blicke auf das Rokoko der Romania, Heidelberg 2010
- Vogtherr, Christoph/ Preti, Monica/ Faroult, Guillaume Faroult (Hg.), Delicious Decadence – The Rediscovery of French Eighteenth-Century Painting in the Ninetheenth Century, Farnham 2014
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Bemerkung |
Im aktuellen Sommersemester bietet Dr. Lars Zieke ein Seminar zum Thema "Watteau und die Kunst des 18. Jahrhunderts" (LV-Nr. 167737) an, das enge inhaltliche Bezüge zum Seminar "Rokokorezeption in der Kunst der Moderne" aufweist. Durch den gleichzeitigen Besuch beider Veranstaltungen bietet sich bei Interesse somit die Möglichkeit einer individuellen Schwerpunktsetzung im Bereich des französischen Rokoko bzw. zu dessen Wirkungen auf die gleichzeitige wie spätere Kunstproduktion.
Die Kombination der beiden Seminare ist ein optionales Angebot und keine Voraussetzung für die Absolvierung von nur einer der beiden Lehrveranstaltungen. Geplant ist in jedem Fall die Abhaltung einer gemeinsamen Sitzung zu einem noch zu vereinbarenden Sondertermin, bei dem die beiden Seminargruppen zusammentreffen und sich über ihren Arbeitsfortschritt und vorläufige Diskussionsergebnisse aus ihren jeweiligen Lehrveranstaltungen austauschen. |