Das Seminar wird gemeinsam von Slawistik und Indogermanistik durchgeführt. Grundsätzlich sind Studierende aller Philologien zur Teilnahme eingeladen. Wir werden ein an der Fakultät entwickeltes neues Parallelkorpus mit Übersetzungen verwenden, um uns Bewegung in den Sprachen, die die Studierende interessieren, vergleichend zu untersuchen. Nach einer Einführung in allgemeine Fragen der Typologie der Versprachlichung von ‘Bewegung’ wollen wir uns dann auf einzelne Sprachen, Sprachfamiiien und Fragen konzentrieren.
Bewegung im Raum ist allgegenwärtig und eine der wichtigsten zu versprachlichenden Aspekte der Wirklichkeit. Die Sprachen Europas unterscheiden sich in diesem Bereich recht grundlegend voneinander, wobei sich auch klare typologische Regelmäßigkeiten und kognitive Präferenzen erkennen lassen.
In den slawischen Sprachen wird man bei Bewegungsverben zunächst an die spezielle Klasse der determinierte und indeterminierten Bewegungsverben (idti vs. chodit’, jechat’ vs. jezdit’) denken. Dies sind in den nordslavischen Sprachen Russisch, Polnisch, Tschechisch prominent; sie weisen auffällige morphologische Eigenschaften und eine besondere Semantik auf: die einen werden bei einer gerichteten, die anderen bei ungerichteter Bewegung verwendet, wobei es auch Unterschiede innerhalb dieser Gruppe gibt.
In diesen Sprachen gibt es aber keine ‘richtigen’ deiktischen Bewegungsverben. Dektische Verben beziehen sich auf Teilnehmer des Sprachaktes und stellen Bewegung in Hinblick auf diesen da - kommen, come und venir bezeichnet die Bewegung hin zum Sprecher oder einem deiktischen Zentrum. Wesentlich konsequenter als im Deutschen ist die Verwendung solcher Verben im Englischen ( ‘come’ and ‘go’) oder den romanischen Sprachen (etwa Frz. ‘venir’ und ‘aller’) sowie dem Finnischen oder Estnischen.
Sprachen unterscheiden sich auch darin, ob sie die Konturen der Bewegung (path) oder ihre Art und Weise (manner) in den Mittelpunkt stellen. Die romanischen Sprachen sind path-zentriert; Verben wie entrare etwa werden regelmässig verwendet, wo das Deutsche die Art und Weise mit hineingehen, -fahren oder -fliegen benennen muss.
In den südslavischen Sprachen ist die Opposition determiniert-indeterminiert abgebaut, dafür gibt es, wohl unter den Einfluss von Sprachkontakt Tendenzen hin zu einem path-zentrierten System und zu deiktischen Bewegungsverben - am deutlichesten im Bulgarischen und Mazedonischen.
Manche Sprachen verwenden für die Bewegungsrichtung spezielle Adverbien/Präverbien/Präfixe, wie deutsch hin(-) und her(-) oder hethitisch pe(-) und u(-). Hier kommt das interagierende System lokaler Adverbien ins Spiel, das auch recht unterschiedlich aufgebaut sein kann: Während manche Sprachen konsequent zwischen Ziel und Ortsruhe unterscheiden, wie in deutsch wohin und wo, müssen andere das durch die Verbsemantik oder eine verbundene Kasusform differenzieren.
Diese und andere Themen (etwa aus der Psycholinguistik) werden wir je nach sprachlicher Orientierung der Teilnehmer im Seminar behandeln; die Schwerpunktsetzung hängt entscheidend von der Zusammensetzung der Gruppe ab. Ein wichtiger Schwerpunkt werden die slavischen Sprachen im Vergleich zum Deutschen und ggf. zum Romanischen sein. Das Parallelkorpus erlaubt uns dabei, diese und andere Phänomene mit einer klaren Methode von unten herauf, d.h., von den Daten ausgehend, zu untersuchen.
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