Hinweis: Angesichts der Corona-Pandemie ist es ungewiss, ob die Veranstaltung durchgeführt werden kann. Mit Nachfragen wenden Sie sich bitte an Dr. Gero Fedtke: Gero.fedtke@uni-jena.de
Die NS-Forschung hat wichtige Studien zu den Organisatoren, Mitwirkenden und Opfern des Holocausts vorgelegt, aber im Vergleich zu der wissenschaftlichen und öffentlichen Beschäftigung mit Überlebenden nach 1945 wissen wir noch wenig über die Folgewirkungen, denen sich jene „ganz normalen Menschen” ausgesetzt sahen, die in großer Zahl an der NS-Mordmaschinerie beteiligt waren oder wenigstens irgendwie mitgemacht haben. Dieses Seminar beschäftigt sich mit der Bedeutung der NS-Vergangenheit in der DDR im Vergleich mit Westdeutschland und anderen Staaten.
Die NS-Vergangenheit durchdrang die ostdeutsche Politik und Gesellschaft auf vielen Wegen. Ehemalige Nazis waren sowohl in der DDR wie auch in der BRD auf allen Ebenen von Staat und Wirtschaft in leitenden Funktionen zu finden. NS-Prozesse waren auf beiden Seiten in verschiedener Hinsicht unzureichend. Nationalsozialistische Mentalitäten oder wenigstens in der Öffentlichkeit praktizierte nationalsozialistische Einstellungen hatten sich mit der viel beschworenen Stunde Null nicht in Luft aufgelöst. Überdies wirkte die NS-Vergangenheit in vielen Familien auf eine Weise fort, die mit dem Fokus auf Themen wie Entnazifizierung, die SED-Ideologie oder die politische Instrumentalisierung von Erinnerungsorten nicht adäquat erfasst werden kann. Geht es hier um Tätergesellschaften, die ihrer Vergangenheit nicht ins Gesicht sahen, oder um Mitläufergesellschaften, in denen viele Menschen sich bekehren und einen echten neuen Anfang machen konnten - und wie verhielt es sich nach 1990?
Das Seminar ist in vier Blöcken strukturiert, mit folgenden Themenschwerpunkten:
I. Ehemalige Nazis: Bekannte und unbekannte Täter in den Nachkriegsstaaten
II. Generationen und die langfristigen Nachwirkungen der NS-Zeit
III. "Erinnerungslandschaften" in der DDR, der BRD, und im vereinigten Deutschland
IV. Geschichtswissenschaftliche Ansätze zur Erforschung des "ganz normalen Lebens" im Dritten Reich und in der DDR
Es gibt eine reiche Literatur zu all diesen Themen; und wir werden auch anhand von ausgewählten Quellen Fallbeispiele näher untersuchen.
Literatur zur Einführung: Mary Fulbrook, Reckonings: Legacies of Nazi Persecution and the Quest for Justice (Oxford: OUP, 2018); Lutz Niethammer, Alexander von Plato, Dorothee Wierling, Die Volkseigene Erfahrung. Eine Archäologie des Lebens in der Industrieprovinz der DDR (Berlin: Rowohlt, 1991); Annette Weinke, Die Verfolgung von NS-Tätern im geteilten Deutschland. Vergangenheitsbewältigungen 1949-1969. Oder: Eine deutsch-deutsche Beziehungsgeschichte im Kalten Krieg (Paderborn 2002). |