Exkursion nach Berlin: Mo. 20.07. bis 23.07.2020 mit Blocksitzungen (insgesamt 22 h).
Älteren Vorstellungen zufolge ist der moderne Parlamentarismus symbolarm, bilderlos und nüchtern. Er setze auf die Überzeugungskraft des Wortes und Herrschaft durch abstrakte Verfahren. Diese Sicht wurde gerade in Deutschland – auch in Abkehr vom Pomp der Monarchie und Abgrenzung zum Nationalsozialismus – durch die Rezeption von Jürgen Habermas und Niklas Luhmann wirkmächtig vertreten.
Neuere Ansätze der historischen Parlamentarismusforschung haben solche Vorstellungen einer gründlichen Revision unterzogen und weitgehend revidiert. Im Gegenteil: Es erscheint für die Akzeptanz und Stabilität eines parlamentarischen Systems durchaus entscheidend zu sein, mit welchen Bildern und Symbolen die Beteiligten kommunizieren, wie die eigene Geschichte dargestellt wird, wie die Gebäude gestaltet sind und wie Öffentlichkeit hergestellt wird. Moderne Parlamentsbauten stehen dabei im Spannungsfeld von Transparenz und Sicherheitsproblemen. Die Weiterverwendung älterer, aus der Monarchie stammender, Gebäude wirft andere Fragen auf. Symbole, Bilder, Fernsehaufnahmen und Internetauftritte können kritische oder affirmative Botschaften vermitteln.
Die Seminarveranstaltung wird solchen methodischen Fragen der Visualisierung des Parlamentarismus und des Verhältnisses von Parlament und Öffentlichkeit nachgehen und dabei die Herangehensweise der modernen kulturwissenschaftlich orientierten historischen Parlamentarismusforschung zu nutzen versuchen. Der Hauptteil des Seminars findet im Rahmen einer Exkursion nach Berlin statt, wobei der Deutsche Bundestag, der Bundesrat, das (ehemalige Preußische) Abgeordnetenhaus, aber auch die Repräsentation des Europäischen Parlaments und die Parlamentsausstellung im Deutschen Dom sowie das Deutsche Historische Museum besucht werden sollen.
Die Teilnahme an den beiden, die Exkursion vorbereitenden Sitzung, sowie einer Sprechstunde (Termin wird noch bekanntgegeben) ist obligatorisch.
Pflichtlektüre für die erste Sitzung: Andreas Biefang: Visualisierungen des Parlamentarismus im 19. Jahrhundert. Ein Problemaufriss in europäischer Perspektive, in: Andreas Schulz/Andreas Wirsching (Hrsg.): Parlamentarische Kulturen in Europa. Das Parlament als Kommunikationsraum, Düsseldorf 2012, S. 355-369.
Neben der Einleitung und weiteren Aufsätzen aus diesem Band (z.B. von Barbara Stollberg-Rilinger, Tobias Kaiser, Stefan Paulus und Ines Soldwisch) sei als einführende Literatur verwiesen auf: Hagen Eyink: Demokratie als Bauherr. Die Bauten des Bundes in Berlin 1991 2000, Hamburg 2000; Werner J. Patzelt (Hrsg.): Parlamente und ihre Symbolik. Programm und Beispiele institutioneller Analyse, Opladen 2001; Andreas Biefang/Marij Leenders (Hrsg.): Das ideale Parlament. Erich Salomon als Fotograf in Berlin und Den Haag 1928–1940, Düsseldorf 2014; Michael S. Cullen: Der Reichstag – Symbol deutscher Geschichte, Berlin 2014; Andreas Biefang: Leopold Braun (1868–1943). Kunst, Politik, Bohème und die Frage: Wozu malt man ein Parlament?, Düsseldorf 2018; Benedikt Wintgens: Treibhaus Bonn. Die politische Kulturgeschichte eines Romans, Düsseldorf 2019; Elisabeth Plessen: Bauten des Bundes 1949 1989. Zwischen Architekturkritik und zeitgenössischer Wahrnehmung. Berlin 2019. |