AKTUELLER HINWEIS:
Angesichts der derzeitigen und wohl noch länger wirksamen massiven Einschränkungen durch die Corona-Krise wird das Seminar nicht als Präsenzunterricht stattfinden. Stattdessen werden die Teilnehmenden zu Hause Texte lesen und in zwei Arbeitsgruppen in einem 2-Wochenrhythmus jeweils gemeinsam Essays (ca. 4-6 S. überwiegend Kurzinterpretationen ausgewählter Quellen zum Seminarthema) verfassen. Zu diesen Arbeitspapieren gibt es dann im 2-Wochenrhythmus in Videokonferenzen (von der Universität Jena angebotene Konferenz-App, dazu ergeht per Email noch gesondert Nachricht) mit allen Seminarteilnehmenden Feedback seitens des Dozenten und eine allgemeine Diskussionsrunde. In den Sitzungen zwischen den Feedback-Runden haben die Arbeitsgruppen die Möglichkeit, dem Dozenten in Chat und Videokonferenz Fragen stellen und Probleme und Ideen hinsichtlich der Abfassung der Arbeitspapiere erörtern. Statt einer wöchentlichen Sprechstunde am Historischen Seminar können Telefonsprechstunden individuell per Email vereinbart werden.
ANKÜNDIGUNGSTEXT:
Der Erste Weltkrieg setze der seit einem knappen Jahrhundert bestehenden territorialen Ordnung Europas ein jähes Ende. Er wurde aber – oder besser: genau deswegen – von vielen Zeitgenossen zunächst nicht als humanitäre Katastrophe, sondern als Chance begriffen, die Karten auf dem Kontinent neu zu mischen. Führende Vertreter nationaler Bewegungen hofften auf ein Ende imperialer Vorherrschaft und die Errichtung eigener unabhängiger Großstaaten zwischen Deutschland und Russland, während gleichzeitig in Berlin, Moskau und Wien weitreichende Pläne für noch zu erobernde oder bereits eroberte Gebiete geschmiedet wurden. Mit zunehmender Dauer des Krieges verbanden sich beide Strömungen zu verschiedenen Konzeptionen nationaler Teilautonomie unter imperialer Führung. Der sich abzeichnende Niedergang Deutschlands, Österreich-Ungarns und Russlands durch Niederlage und Revolution ab 1917/18 sowie das sowohl von Wladimir Lenin als auch von Woodrow Wilson verkündete „Selbstbestimmungsrecht der Völker” brachten die Dinge erneut in Bewegung. Große Teile Mittel-, Ost- und Südosteuropas bildeten ab 1918 eine tabula rasa, auf der die dort neu entstandenen Nationalstaaten ebenso wie die Entente-Mächte und das revolutionäre Russland ihre ganz eigenen Vorstellungen einer Neuordnung Europas zu verwirklichen trachteten.
Das Seminar richtet somit den Blick auf Imaginationen von Osteuropa als politischem Raum im langen Ersten Weltkrieg, freilich nicht ohne nach deren Verankerung in der Realgeschichte zu fragen. Militärgeographische Überlegungen verfeindeter Parteien der Balkankriege, deutsche koloniale Pläne für das „Ostland”, Friedrich Naumanns „Mitteleuropa” und die polnische Utopie eines „Intermarium” zwischen Schwarzem Meer und Ostsee werden dabei ebenso behandelt wie Russlands panslawistische/eurasische Gedankenspiele und die Vorschläge der amerikanischen Expertenkommission „Inquiry” auf den Versailler Friedensverhandlungen.
Im Seminar arbeiten wir mit Literatur und Quellen auf Deutsch und Englisch. In den einzelnen Sitzungen stellen Studierende Dokumente aus dem digitalen Semesterapparat vor, die anschließend im Plenum analysiert und im größeren historischen Zusammenhang diskutiert werden. Zur Vorbereitung wird daher begleitend der Besuch der Vorlesung „Der Erste Weltkrieg im östlichen Europa” empfohlen.
Studierende des Seminars sind zur Teilnahme an der Exkursion nach Lemberg und Kiew berechtigt.
Literatur: Wolfgang Wippermann: Die Deutschen und der Osten. Feindbild und Traumland, Darmstadt 2007; Wlodzimierz Borodziej (Hg.): Option Europa. Deutsche, polnische und ungarische Europapläne des 19. und 20. Jahrhunderts, Göttingen 2005; Heinz Duchhardt, Malgorzata Morawiec (Hg.): Vision Europa, Deutsche und polnische Föderationspläne des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, Mainz 2003. |