Kommentar |
Non-majoritarian institutions wurden im Dickicht nationaler, europäischer und internationaler Institutionen von der politikwissenschaftlichen Forschung bisher weitestgehend übersehen. Dies ist umso erstaunlicher, als dass sich mit ihnen demokratietheoretische Grundfragen nach der Quelle von politischer Herrschaft, wie diese kontrolliert und wem gegenüber sie rechenschaftspflichtig sein soll, verbinden. Vereinfacht gesagt handelt es sich bei nicht-majoritären Institutionen (NMIs) um Akteure, die kollektiv verbindliche politische Entscheidungen treffen und mithin, wie nationalstaatliche Exekutiven, politische Autorität ausüben können, ohne aber gleichzeitig durch demokratische Wahlen, bürgerliche Partizipation oder (majoritäre) Mehrheitsentscheidungen legitimiert zu sein. Dass NMIs trotz alledem mit bemerkenswerten exekutiven Kompetenzen ausgestattet sind, die bisweilen tief in (inner-)staatliche Angelegenheiten eingreifen können, lässt sich mühelos an der aus EZB, IWF und Europäischer Kommission bestehenden Troika illustrieren. So übte jenes von der EU eingesetzte Expertengremium in der griechischen Staatsschuldenkrise erhebliche Macht aus und setzte unter anderem eine Kürzung von Renten, Löhnen und Mindestlöhnen, eine Abschaffung des Kündigungsschutzes, eine Aushöhlung des Tarifrechts, aber auch weitreichende Sparmaßnahmen und Entlassungswellen im öffentlichen Dienst durch. Die Troika verfügte dabei, wohl gemerkt, weder über eine demokratische Legitimierung, war keinem Parlament gegenüber rechenschaftspflichtig oder dazu gezwungen, ihre Austeritätspolitiken vom Europäischen Rechnungshof (EuRH) absegnen zu lassen – pointiert könnte man also sagen: Macht ohne Kontrolle. Im Seminar wollen wir uns intensiv mit diesem immer häufiger anzutreffenden Institutionentypus beschäftigen und neben der Troika auch zahlreiche andere nicht-majoritäre Institutionen ins Blickfeld rücken. Inhaltlich gliedert sich das Seminar in zwei grundlegende Teile: (1.) Theorie/Methodik und (2.) Empirie. Im ersten Teil sollen zunächst theoretische Grundlagen erarbeitet werden, welche sowohl das Wesen von NMIs (Definition, Eigenschaften, Vor- & Nachteile), unterschiedliche Modi der Delegation (u.a. Principal-Agent-Theorie, Delegationstheorien) als auch relevante demokratietheoretische Grundfragen nach Macht(-teilung), Legitimierung und Verantwortlichkeit (accountability) in den Blick nehmen sollen. Aus den genannten Punkten soll schließlich ein methodisches Analyseraster abgeleitet werden, mit dessen Hilfe im zweiten Teil des Seminares, dem Empirieteil, ganz unterschiedliche NMIs, die auf der Bundes- (z.B. Bundeskartellamt, BVerfG), Europa- (z.B. EZB, ESM, EC, Troika) oder der internationalen Ebenen (IWF und Weltbank) tätig sind, fallstudienartig untersucht werden. |
Literatur |
- Majone, Giandomenico (1994): Independence vs. Accountability? Non-Majoritarian Institutions and Democratic Government in Europe, EUI Working Papers in Political and Social Science 94/3.
- Majone, Giandomenico (1994): The Rise of the Regulatory State in Europe, in: West European Politics 17 (3), 77-101.
- Thatcher, Mark/ Stone Sweet, Alec (2002): Theory and Practice of Delegation to Non-Majoritarian Institutions, in: West European Politics 25 (1), 1-22.
- Tucker, Paul (2018): Unelected Power. The Quest for Legitimacy in Central Banking and the Regulatory State, Princeton, NJ: Princeton University Press.
- Vibert, Frank (2007): The Rise of the Unelected. Democracy and the New Separation of Powers, Cambridge u.a.: Cambridge University Press.
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