Kommentar |
In Anbetracht der Auswirkungen der weltweiten Finanzkrise stellt sich sowohl für die Regierungen, als auch die Bevölkerungen der europäischen Staaten wie schon mehrfach im letzten Jahrhundert die Frage, wo eigentlich die Grenzen staatlicher Leistungsfähigkeit zu sehen sind und vor allen Dinge, wie sich diese Überlegungen in der Ausgabenpraxis der einzelnen Länder niederschlagen sollen. Zum größten Diskussionspunkt wird dabei zumeist der Umgang mit dem umfangreichen Sektor sozialer Leistungen, der in seiner Gesamtheit bei den meisten westlichen Staaten inzwischen weit über die Hälfte der Staatsausgaben ausmacht. Dass es heute überhaupt zu dieser Diskussion kommt ist in großem Maße dem Fakt geschuldet, dass der Bereich der Sozialleistungen zum Beginn des 20. Jahrhunderts nur einen geringen Teil des Staatshaushalts der europäischen Nationen ausmachte. Ziel des Seminars ist es daher, diese Entwicklung des sozialpolitischen Profils in unterschiedlichen Ländern und der ihr vorangehenden Debatten um die Aufgabe sozialer Sicherungssysteme nachzugehen. Dazu sollen zunächst verschiedene Theorien des Sozialstaats (Esping-Andersen, Le Grand usw.) erarbeitet werden, mit deren Hilfe die anfangs noch gleichartig verlaufende Entwicklung sozialer Sicherungssysteme im späten 19. Jahrhundert bis zur fortschreitenden Differenzierung und Diversifizierung Ende des 20. Jahrhunderts untersucht werden sollen. Ausgehend von der reinen Residualfürsorge der Spätindustrialisierung sollen die Gründe für das langfristige, weitgehend unveränderte strukturelle Fortbestehen der bismarckschen Sozialversorgung analysiert und bewertet werden. Im Gegensatz dazu steht der bis zum Ende des 2. Weltkriegs existierende, minimalistische Sozialstaat im Vereinigten Königreich, der im Laufe der 50er bis zu den 70er Jahren rasant an Umfang gewann, ebenso schnell jedoch während der Regierungsjahre Margaret Thatchers wieder zurückgefahren wurde. Den Abschluss bilden die Diskussionen um die Zukunft bzw. die „Rettung“ des Sozialstaates im 21. Jahrhundert. |
Literatur |
Esping-Andersen, Gøsta, The Three Worlds of Welfare Capitalism, Princeton 1990.
Le Grand, Julian, Motivation, Agency, and Public Policy: Of Knights and Knaves, Pawns and Queens, Oxford 2003.
Eardley, Tony u.a. (Hrsg.), Social Assistance in OECD Countries. A Study Carried Out on Behalf of the Department of Social Security and the OECD by the Social Policy Research Unit (= Department of Social Security Research Report, Bd. 47), 2 Bände, London 1996. |