Kommentar |
Die Moral versteht sich von selbst – dieser Satz verliert nach Hannah Arendt mit dem totalen Zusammenbruch der moralischen Ordnung und allen Moralbewusstseins im Nationalsozialismus seine Gültigkeit. Dieser Zusammenbruch ist etwas, das „nie hätte geschehen dürfen“, wie Hannah Arendt betont, weil es weder bestraft noch vergeben werden kann. In Ihren Vorlesungen zu Fragen der Ethik, die sie 965 an der New School for Social Research in New York hielt, wendet sie sich dem moralischen Problem vor diesem historischen Hintergrund zu und versucht, das sich und ihren Hörer_innen begreiflich zu machen, was geschehen ist und welche Folgen dieser Zusammenbruch für den Anspruch der Moral hat. Hat sich nicht gezeigt, dass alle moralischen Ordnungen nur „mores“, nur zeitbedingte Konventionen sind, es also gar keine verbindliche Moral gibt? Und gründet das "wirklich Böse", das bei uns „sprachloses Entsetzen verursacht“, nicht letztlich in der moralischen (und politischen) Indifferenz? In vier Vorlesungen verfolgt Hannah Arendt die bis heute aktuelle Frage "Wie konnte dies geschehen?" und nimmt sie zum Anlass die Grundfragen und Grundbegriffe der philosophischen Ethik bzw. Moralphilosophie noch einmal zu überdenken.
Diese Vorlesungen, die unter dem Titel "Über das Böse" in deutscher Übersetzung vorliegen, bilden die Grundlage des Seminars: Wir wollen sie gemeinsam lesen, einzelnen Fragen nachgehen, uns in Exkursen die Hintergründe erarbeiten – und vor allem darüber diskutieren.
|