Kommentar |
Ansätze materialistischer Gesellschaftswissenschaft befassen sich mit den historisch-konkreten Bedingungen und Praxen der Entstehung, der Blüte, der Erosion u. schließlich des Verschwindens ökonomischer, gesellschaftlicher u. politischer Verkehrsformen. So auch exemplarisch die marxsche „dialektische Methode” der Kapitalismusanalyse. – Allerdings sollten die historisch-kritischen Maßstäbe, mit denen Marx seine analytischen Begriffe entwickelt, auch auf seine Theorie u. Begriffe selbst bezogen werden. Erst recht gilt das für nachfolgende Anknüpfungen sich als marxistisch verstehender Kapitalismuskritik, die sich weitgehend unkritisch des marxschen Vokabulars bedienen. – Der Kapitalismus, so Marx, ist „kein fester Kristall, sondern ein umwandlungsfähiger und beständig im Prozess der Umwandlung begriffener Organismus”. Die von Marx im 19. Jh. entwickelten Begriffe, um seine Funktionsweise zu erfassen u. praktische Kritik zu ermöglichen, gehören so ständig auf den Prüfstand. Einst analytische Begriffe, die die Tiefenstruktur der bürgerlichen Gesellschaft aufdecken u. Entwicklungsgesetze enthüllen konnten, werden unter veränderten Bedingungen kapitalistischer Akkumulation zu Alltagsfloskeln o. verwandeln sich in hohle Phrasen. „Begriffe von der Sache” (Adorno), die einst taugten, Verhältnisse u. Zusammenhänge zu fassen, werden zu Floskeln ohne Tiefgang. – Das Seminar stellt einige grundlegende Begriffe der marxschen Theorie auf den Prüfstand, indem es die historischen Bedingungen u. analytischen Perspektiven ihrer Entstehung mit dem Wandel der kapitalistischen Produktionsweise (u. neuer historischer Erfahrungen) konfrontiert. Das Seminar versucht die Geschichte (u. den Wandel) einiger Grundbegriffe marxistischer Gesellschaftskritik zu vermitteln (etwa: Ausbeutung, Autonomie/Integration, Bourgeoisie, Kooperation, Hegemonie, Weltmarkt) u. restrukturierte Zusammenhänge kapitalistischer Gesellschaftsformationen aufzuzeigen (etwa: was heißt, die „kapitalistische Produktionsweise herrscht (Marx), was, das „Kapital ist konzentrierte gesellschaftliche Macht” (Marx); in welchem Verhältnis stehen Akkumulation (die „stummen Zwänge” (Marx) des Marktes) u. politische Regulation (Staatsintervention), in welchem Reform u. Revolution?
Da immer noch nicht von einer Rückkehr zur Präsenzlehre ausgegangen werden kann, findet das Seminar ONLINE als angeleiteter Kurs zum Selbststudium statt. – Wie der Dichter Peter Rühmkorf kommt auch der Lehrende noch aus einer Generation, „die sich ihr Weltbild praktisch / mit bloßen Händen erarbeitet hat”. Das Seminar bietet eine Anleitung zur Selbstaneignung von historisch-kritischem Wissen. Dazu wird – nach Abschluss des Platzvergabeverfahrens – an die Teilnehmenden ein strukturierter Reader mit Leitfragen verschickt. Es wird keine synchronen Formate der digitalen Lehre geben (Videokonferenzen zu bestimmten Zeiten u.ä.). Ob zum Ende des Semesters doch noch die Möglichkeit zu einer Abschlussveranstaltung in Präsenzform besteht, auf der strittige Fragen diskutiert werden können, muss abgewartet werden. |