Eines der Grundmotive antijüdischen und antisemitischen Denkens ist der Vorwurf jüdischer „Mimikry“, die Imitation und Zersetzung der Mehrheitskultur aufgrund fehlender eigener Identität, oder im spezifisch künstlerisch-ästhetischen Sinn der Unfähigkeit, eine „authentische“ originelle Kunst oder Musik zu schaffen. Diese Denkmuster zeigen sich bereits in den Anfängen moderner Musikgeschichtsschreibung und kulminieren im antisemitischen Musikschrifttum des 19. Jahrhunderts, unter dem Richard Wagners „Das Judenthum in der Musik“ keineswegs eine Sonderstellung einnimmt, wenngleich vor allem mit der erweiterten Fassung von 1869 zusammen mit Bemerkungen in anderen Schriften eine neue „Qualität“ antisemitischer Agitation erreicht scheint. Die antisemitische Musikpublizistik der folgenden Jahrzehnte bis hin zur Kulturpolitik des Nationalsozialismus knüpft nicht kausal, aber doch wirkungsgeschichtlich an die im 19. Jahrhundert ausgeformten Topoi „hebräischen Kunstgeschmacks“ oder des „Juden in der Musik“ an. Auch nach dem 2. Weltkrieg finden sich in verschlüsselter Form noch ähnliche Motive in der Musikkritik, während Teile gerade der deutschsprachigen Musikforschung „Jüdisches“ in der Musik bis in die Gegenwart nur in Einflüssen synagogaler oder orientalischer Klanglichkeit zu finden vermögen.
Wir lesen wichtige Quellentexte und verorten sie im Kontext des ästhetischen und politischen Diskurses. Zugleich betrachten wir die konkreten Auswirkungen auf das Schaffen und die Rezeption von Komponisten wie Giacomo Meyerbeer, Felix Mendelssohn, Jaques Offenbach, Gustav Mahler, Kurt Weill oder Arnold Schönberg und untersuchen ausgewählte Werke daraufhin, ob sich die antisemitische Kritik musikalisch substantiieren lässt. Im Vergleich mit Werken anderer jüdischer Komponisten, die ihre jüdisch-nationale oder religiöse Identität in konkreterer Form künstlerisch zum Ausdruck zu bringen gesucht haben, überlegen wir gemeinsam, was „jüdische Musik“ in der jüngeren Geschichte und Gegenwart bedeuten kann.
|